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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mußte, die all das für mich aufgab. Das war der Lauf der Welt, das war Fortschritt. Ich zuckte die Achseln und schob die Pfanne unter den Grill.
    Sierra war in ihr Zimmer am Ende des Korridors abgezogen, das Zimmer, das ich als Junge bewohnt hatte, aber sie hörte keine Musik und kritzelte auch nicht in ihr Notizbuch oder raunte grausige Geheimnisse ins Telefon – sie lag einfach mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, und ihre Schultern bebten, weil sie leise in ihr Kissen weinte. Ich kannte diese bebenden Schultern, und normalerweise wurde ich bei ihrem Anblick schwach. Doch nicht an diesem Abend. Ich hatte meine eigenen Probleme, deshalb nahm ich sie nicht in den Arm und sagte ihr, es sei ja alles gut und sie könne essen, was sie wolle, Fruchtgummi zum Frühstück, Kokosmakronen am Mittag und Cremeschnitten zum Abendessen – nein, ich packte ihren Arm und zerrte sie in die Küche, wo eine gebackene Kartoffel auf dem Teller dampfte, daneben ein Schwung grüner Bohnen mit geschmolzener Butter und ein mitteldurch gebratenes Steak von der Größe Connecticuts.
    Ich goß ihr ein Glas Milch ein, stellte meinen Drink ab und nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. Ich griff nach Messer und Gabel. Ich schob mir einen Bissen Fleisch nach dem anderen in den Mund, tupfte meine Lippen mit der Serviette ab, schüttelte den Pfefferstreuer heftig über meinen Teller, mampfte grüne Bohnen, ertränkte meine Kartoffel in saurer Sahne und Butter. Gesprochen wurde nichts. Keinerlei Unterhaltung. Vielleicht habe ich gesagt: »Gutes Fleisch« oder etwas in der Richtung, eine kleine Stichelei, aber das war’s auch. Sie saß reglos da. Senkte nur den Kopf und starrte auf ihren Teller, wo Kartoffel und Bohnen unzweifelhaft von den Säften des Steaks kontaminiert waren, und auch die Milch, die sie ohnehin nie gemocht, sondern nur geduldet hatte, wurde ignoriert. Selbst als ich mich erhob, um meinen Teller abzuspülen und den Rest meines Drinks in den Ausguß zu schütten, blickte sie nicht einmal auf. Und später, als das Telefon wieder und wieder klingelte und ihre Freundinnen am anderen Ende ihr begierig ihre eigenen grausigen Geheimnisse mitteilen wollten, rührte sie sich nicht. Sie saß starr am Tisch, während vor den Fenstern allmählich das Tageslicht schwand, und als ich sie eine Stunde später im Dunkeln sitzen sah, schaltete ich das Küchenlicht ein.
    Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen oder auch nur allzu lange ihren gesenkten Hinterkopf und die helle Linie ihres perfekt gezogenen Scheitels betrachten, denn ich war entschlossen, nicht weich zu werden. Wenn sie damit durchkam, hätte sie gewonnen, dachte ich, dann ginge es fröhlich los mit Junk-food und Süßigkeiten und von dort weiter zu Wachstumsstörungen, kaputten Zähnen und schlechter Haut, Jugendkriminalität, Schwangerschaft, Schuldenberg, Drogen, Alkohol, die ganze Abwärtsspirale. Um elf schlich ich in die Küche und sah, daß sie eingeschlafen war, den Kopf in das Nest ihrer Hände gebettet, das Essen beiseite geschoben, unangetastet und erhalten wie ein Teller unter Glas in einem Americana-Museum: Typische US-Mahlzeit, ca. 1987 . Ich nahm sie in die Arme und hob sie hoch, keinerlei Gewicht war zu spüren, als hätte ein einziges übersprungenes Abendessen sie bereits total ausgezehrt, und legte sie behutsam ins Bett, Decke bis ans Kinn, Küßchen auf die Wange, gute Nacht.
    Am nächsten Abend gab es panierte Schweinekoteletts mit Kartoffelsalat, Sauerkraut, warmem Apfelmus und aufgewärmten grünen Bohnen. Sie sah nicht einmal hin. Was sagte ich dazu? Gar nichts. Sie saß nur am Tisch und machte ihre Hausaufgaben, bis sie einschlief, und diesmal ließ ich sie einfach dort sitzen. Am dritten Abend hatten wir Pizza mit Sardellen und Pilzen, ihre Lieblingssorte, aber auch die rührte sie nicht an. Da ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf. Ich brüllte und drohte, knallte die Türen, spannte sie auf die Schuldgefühlsfolter und erhöhte den Druck: Glaubte sie denn, daß es leicht war für mich, ohne Frau, von einem elendlangen Arbeitstag nach Hause zu kommen und noch die Küchenschürze umzubinden, nur für sie? Hä? Glaubte sie das?
    Am vierten Tag ihres Hungerstreiks bekam ich einen Anruf der Schulkrankenschwester: sie war im Sportunterricht beim Seilklettern ohnmächtig geworden und vier Meter tief auf den Boden der Turnhalle gefallen. Nichts gebrochen, aber sie brächten sie trotzdem zur Vorsicht ins Krankenhaus zum Röntgen, und ob sie in letzter Zeit

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