Grün war die Hoffnung
»Aber du bist doch Vegetarier, oder? Ausgerechnet du – ich meine, ich hab deine Biographie und die vielen Zeitschriftenartikel gelesen, alles...« Sie glotzt zu ihm empor und vergißt ihren Teller mit Fladenbrot, sauer-scharf eingelegten Limetten und Spiegelei, zubereitet von Macs unsichtbarem Koch und lautlos serviert von einer maskierten Pakistanerin, die im selben Moment wieder verschwand, als der Teller den Tisch berührte. »Du bist Vegetarier. Das weiß ich.«
Andrea steht allein mitten in dem riesigen Raum und sieht aus, als hätte jemand sie zwischen zwei Liedern auf der Tanzfläche stehengelassen. »Wahrscheinlich hat er das nur für seine Gäste, für die Partys – Barbecue You und so. Stimmt’s? Ist doch so, Mac?«
Mac. Vor zwei Tagen hat sie ihn kennengelernt – durch mich, über mich –, und schon heißt es Mac-dies und Mac-das und Kann ich dir noch ein Soda holen, Mac, oder ein paar Weintrauben schälen, und Was meinst du dazu, Mac?
Er grinst – das merkt man daran, daß die Ecken der Gazemaske sich unter der Plastikrundung seiner Sonnenbrille dort leicht heben, wo die Muskeln seiner fleischlosen Wangen sein müßten. Er sieht mich an – jedenfalls dreht sich sein Kopf zu mir. »Ach was, Ty, jetzt dreh mal nicht durch – komm mit, ich zeig’s dir«, und nun gerät er in Bewegung, Maclovio Pulchris, der Ex-Popstar, der seit sechzehn Jahren keinen Hit mehr hatte, gleitet federleicht durch den Raum und ergreift meinen schmerzenden, widerspenstigen Arm, die beiden Als zucken zusammen und wechseln nervöse Blicke, weil ihr Arbeitgeber einem anderen Menschen gefährlich nahe kommt, auch Andrea tritt hinzu, und sogar April erhebt sich von ihrem kaltgewordenen Spiegelei. »Unten im Keller, Ty – im östlichen Keller, schön weit weg von den süßen braunen Löwen, und du weißt genau, wie gern ich die mag, Mann, also sieh mich nicht so an! Scheiße, ich habe eine Riesenkühlkammer voll mit dem Zeug – Schnitzel, Rumpsteaks, Schweinswürste, Lammkoteletts, Hot dogs, Filet Mignon, was auch immer. Wir könnten fünfzig Löwen füttern!«
Persönlich habe ich nie an das Vegetariertum geglaubt, außer als ökologisches Prinzip – logisch, daß man wesentlich mehr Menschen von Reis oder Getreide ernähren kann als futterintensive Tiere wie Rinder, und außerdem weiß jeder, der heute auf der Erde lebt, daß McDonald’s und Burger King und ihresgleichen damals die Regenwälder abgefackelt haben, um Weideland für noch mehr Rinder zu schaffen, trotzdem lasse ich es nicht zur Religion werden. Fleisch ist ja nicht das Problem, sondern die Menschen. Im Gefängnis bekamen wir Spaghetti bolognese, Chili con carne, Fleischwurstbrote, solche Sachen, und ich hab’s mit Freuden gefuttert, ohne lange darüber nachzudenken. Es ist eine darwinistische Welt – töten oder getötet werden, fressen oder gefressen werden –, und ich habe kein Problem damit, daß bestimmte hochentwickelte Affen sich hie und da ein Stück verbranntes Fleisch zwischen die Zähne stecken (wenn wir nur nicht so viele wären, aber das ist eine andere Geschichte). Außerdem war ich nie Teil der Umweltbewegung, bis Andrea mich geschnappt hat, und bis dahin hatte ich neununddreißig Jahre als Fleischfresser hinter mir. An der Spitze der Nahrungskette, allerdings.
Meine Tochter sah diese Dinge etwas anders.
Es fing an, als sie elf war. Sie kehrte von einem Ausflug nach New York mit Janes Schwester Phyll zurück, worunter ich mir so etwas wie einen Besuch der Radio City Music Hall oder des Naturhistorischen Museums vorgestellt hatte, und verkündete mir, Fleischessen sei Mord. Sie waren nicht im Säugetiersaal gewesen. Nein, Phyll hatte sie zum Earth Day auf den Washington Square mitgenommen, wo sie bekehrt worden war – von einem Asketen mit Dreadlocks und einer Diavorführung, bei der man sah, wie rehäugige Robbenbabys mit dem Hammer erschlagen und frisch geköpften Hühnern auf dem Fließband mechanisch die Eingeweide herausgerissen wurden. Ich hatte einen katastrophalen Tag im Büro gehabt, mein Hauptmieter – eine landesweite Drogeriemarktkette, praktisch der Anker des ganzen Einkaufszentrums – drohte damit, in die neue Shopping-Galerie umzuziehen, und ich schlürfte gerade einen Scotch, um meine Nerven zu anästhesieren, während ich zwei fetttriefende Porterhouse-Steaks fürs Abendessen auftaute. Sierra stand in der Küche, eins zweiundfünfzig groß und vierzig Komma null Kilo, und hielt mir Vorträge über das Böse am
Weitere Kostenlose Bücher