Grün war die Hoffnung
ein Gesicht. »Ich erzähl dir mal ne Geschichte, eine wahre Geschichte darüber, wie ich wilde Tiere hassen lernte – warum ich meinen Schreibtischjob aufgab und nach Afrika ging. Es war wegen etwas, das mir passiert ist, als ich klein war, oder gar nicht mal so klein – wie alt bist du jetzt?«
»Dreizehn.«
»Dreizehn. Na ja, vielleicht war ich ein oder zwei Jahre jünger, weiß nicht mehr. Jedenfalls hatte mein Vater die Familie auf eine Urlaubsreise mitgenommen, damit wir mal die USA kennenlernen, sagte er, und so fuhren wir die weite Strecke von Long Island, wo ich aufgewachsen bin, zum Pike’s Peak, zum Grand Canyon und in den Yosemite Park – übrigens gar nicht so weit weg von hier. Ich hatte eine Schwester, Daphne, sie muß damals etwa vier gewesen sein, ein kleines Mädchen mit Pony und Grübchen und einer Spange im Haar, und die letzten dreihundert Kilometer der Fahrt redeten wir über nichts anderes als Bären. Ob es wohl wirklich Bären im Yosemite gab? Wilde Bären? Würden wir welche sehen? Mein Vater war ein solider Mann von Mitte Fünfzig – er hatte spät geheiratet, und meine Mutter war zwanzig Jahre jünger –, der im Krieg mit einer Konservenfabrik reich geworden war. Er hatte ein schmales Schnurrbärtchen, fällt mir jetzt ein, wie es die Schwerenöter in alten Filmen tragen. Auf jeden Fall drehte er sich auf dem Sitz um und sagte: Klar, natürlich werdet ihr welche sehen. Dafür ist der Park doch berühmt. Für seine Bären.
Das Ganze war übrigens in den Vierzigern, bald nach dem Krieg. Wir hatten damals einen Packard, groß wie ein Leichenwagen, er war entweder dunkelbraun oder dunkelblau, ich weiß es nicht mehr... Und die verfluchten Bären waren tatsächlich da, gleich hundert oder so standen aufgereiht an der Straße in den Park hinein, wie Erdnußverkäufer im Yankee Stadium, Bären in allen Farben, von Nachtschwarz über Kackbraun und Pfirsichorange, Vanillebeige bis Rötlichblond. Zu jener Zeit bemühte sich die Parkverwaltung nämlich, etwas für den Tourismus zu tun, und deshalb taten sie etwas für die Bären, indem sie Müll verstreuten, statt ihn aufzusammeln, weil die Leute sich natürlich auch gern die Bridalveil-Wasserfälle und all das ansahen, aber wer die Natur erleben will, dachten sie, wer sie wirklich erleben will, dem muß man Bären bieten.
Die Autos waren stehengeblieben, jedes hatte einen Bären am Fenster, die Leute fotografierten sie aus nächster Nähe – wenige Zentimeter waren das – und fütterten sie direkt ins Maul mit Marshmallows und Wurstbroten, Schokoriegeln, was sie eben hatten, als wären sie nur große zottige Hunde. Einige hatten die Fenster heruntergekurbelt und beugten sich halb aus dem Wagen, um ihnen einen Bissen von diesem oder jenem hinzuhalten, und die Bären zogen eine Show ab, ließen sich auf den Hintern plumpsen, zeigten kleine Tricks oder stießen diesen nasalen, kehligen Ton aus, der mich immer an eine Posaune im Kleiderschrank erinnert. Es war das Irrste in meinem ganzen Leben. Ich war so aufgeregt, daß ich bis an die Wagendecke hüpfte, und meine Schwester auch, aber aus irgendeinem Grund waren alle Bären beschäftigt, und keiner achtete auf uns, jedenfalls nicht gleich. Was ist denn los, Dad? hab ich genörgelt. Warum kommen die nicht zu uns? Und mein Vater ließ das Fenster runter – alle ließen wir die Fenster runter, sogar meine Mutter –, lehnte sich weit hinaus und warf ein Paket Scheibenkäse auf den Asphalt, etwa drei Meter vor den nächststehenden Bären, dabei machte er schmatzende Geräusche, um ihn anzulocken. Ich erinnere mich gut an den Bären. Er war mittelgroß, schwarz wie ein Autoreifen und hatte zu kleine Augen, die wie in den Kopf gebrannt wirkten.
Offenbar hatte er meinen Vater gehört – oder das feuchte Aufklatschen der Scheibletten –, und er drehte sich um, schnüffelte und vertilgte den Käse, samt Wachspapier, dann schlenderte er zum Wagen, schwenkte den Kopf, um unsere Witterung aufzunehmen, und er roch wie zwei riesige, in einen alten Teppich gewickelte Hunde. Ich erinnere mich noch an seinen Geruch – immer noch, nach all den Jahren und den vielen Viechern, die ich gejagt und erschossen und gehäutet habe. Es war ein ranziger, wilder Geruch, der uns umfing, als wäre der Wagen plötzlich einen Berg hinabgerollt und in einen Sumpf oder eine Jauchegrube gestürzt, und ich kriegte Angst, aber nur kurz und nicht so sehr, als daß ich mich nicht aus dem Fenster gereckt und ihm eine ganze
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