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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zermalmen und die Gedärme aus dem Leib reißen lassen. Nein, in mir spricht die Weisheit des Alters (das Leben mag beschissen sein, aber wozu soll es hier aufhören, ehe die Geschichte zu Ende ist?), und meine schmerzenden Füße tragen mich den Gang entlang in Richtung der Hintertreppe, neben mir Chuy, hastend und mit unergründlicher Miene. Ist er besorgt, ängstlich, erregt? Bei Chuy ist das schwer zu sagen. Seine Augen sind wie Trickspiegel, und dieses bekloppte Goldplombengrinsen legt er niemals ab, egal was passiert. Allerdings sind wir auf der Hut, alle zwei – in solchen Dingen gehen wir immer konform –, und schleichen uns so leise wie möglich durch den Korridor zum Grunge Room.
    Ein paar Meter vor der Tür bleiben wir beide abrupt stehen: etwas stimmt hier nicht. Etwas stimmt ganz und gar nicht: auch diese Tür ist nur angelehnt. Auf einmal durchfährt mich schiere Panik. Mein Herz pocht, meine Augen brennen – Essig, als hätte mir jemand Essig in die Augen geschüttet –, und ich kann nicht mehr schlucken. Ich war es. Meine Schuld. Ich bin alt und vergeßlich, ein Narr und noch Schlimmeres, denn ich muß die Tür offengelassen haben, als ich Jeans und Stiefel angezogen habe und auf den Gang hinaus zum Frühstück gewankt bin. Andrea, denke ich, Andrea, während ich mich in die heulende Weite dieses stillen, unbewegten Zimmers hineinbeuge und nach dem Lichtschalter an der Wand neben der Tür taste. Ich finde ihn nicht, jedenfalls nicht sofort, weil ich hier nur Gast bin, weil meine Finger zittern, weil ich alt bin und zurück in mein eigenes Haus will, zu meinen Habseligkeiten, und weg von alledem hier.
    Der Raum ist höhlenartig tief und hoch. Ich kann überhaupt nichts erkennen. Das Wetter ist so mies, daß man ohnehin kaum die Nacht vom Morgen unterscheiden kann, aber Andrea läßt die schweren Brokatvorhänge zugezogen, um jeden Schimmer Tageslicht abzuwehren, bis sie sich aus dem Bett schleppt, was meist gegen Mittag geschieht. Da liegt sie, ein hyänengroßer Berg in der Mitte des Bettes, und all die Geschichten von afrikanischen Hexen, die ihre Gestalt wechseln und die Form des verstohlenen Grabräubers annehmen, fallen mir ein und verfolgen mich (»Großmutter, was hast du für große Zähne?«), bis sie plötzlich einen durchdringenden Altladyschnarcher ausstößt und ich wieder Atem schöpfe.
    Dann doch der Lichtschalter, und ich sehe, daß das Zimmer leer ist, bis auf Andrea, Kurt Cobains Haarlocke und den Stapel von modernen Artefakten, der meine irdische Habe darstellt: all das aus dem Gästehaus geborgene Zeug, das ich in einer Ecke aufgetürmt habe. Mitten in dem Haufen aber liegt auch, ordentlich geschmiert und gereinigt mit einem in Waffenöl getunkten Lappen, die Zwölf-Millimeter-Nitro, die einstmals Philip Ratchiss gehört hat. Ich hab noch nie im Leben ein Tier gejagt, nicht, um es zu töten – da halte ich es mit Thoreau: »Kein Mensch wird, wenn er einmal das gedankenlose Knabenalter hinter sich hat, mutwillig ein Geschöpf morden, das mit dem gleichen Recht am Leben hängt wie er selbst« –, aber jetzt bin ich sofort bei dem Gewehr, schiebe die Patronen in die Kammer und ziele probehalber über den Lauf.
    Andrea (nur halb wach): »Ty?«
    Ich: »Mmh?«
    Andrea: »Du willst doch nicht...? Was tust du da? Ist das ein Gewehr?«
    Ich (grimmig, eiskalt, hart wie die Schwielen an den Füßen eines Fakirs): »Ich gehe jagen.«
    Das ist natürlich eine Pose. Ich bin gar nicht so hart. Niemand ist das. Außer vielleicht Ratchiss. Und Teo – der verstorbene Teo, und wieso ergötzt es mich eigentlich so, mir diese Wendung auf der Zunge zergehen zu lassen? Aber ich habe keine Illusionen: Lily wird sterben müssen, die Teilmantelgeschosse werden ihr ein Loch reißen, in das man ein Lexikon stecken kann, dabei ist Lily eine von... na, zwei-, dreihundert der letzten ihrer Art auf der Welt. Ich kenne sie fast von Anfang an, als sie aus dem Zoo von Los Angeles kurz vor dessen Schließung als verschmuddelte Einjährige zu uns kam, und sie war für mich da, als Andrea es nicht war. Wie viele leckere Stückchen hab ich ihr in diesen zehn Jahren schon hingeworfen, wie viele überfahrene Viecher, wie viele Hühnerrücken? (Und falls ihr noch nie einer Hyäne einen Hühnerrücken hingeworfen habt – wie soll ich auch nur annähernd die Befriedigung beschreiben, wenn man das Zuschnappen der eisernen Kiefer hört, das Schlucken, den Anblick der Effizienz dieses Tiers, meines Tiers, das frißt und

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