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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gedeiht und langsam zum Ebenbild des zottligen wilden Wesens wird, das schon durch die Olduvaischlucht getrottet ist, als wir noch werkzeuglose Affen waren und unser Fleisch roh hinunterwürgten?) Von Lily sprechen wir hier, von Lily – ebensogut könnte ich Rin Tin Tin abknallen.
    Wieder draußen in der Halle, auf der Pirsch jetzt, Chuy hinter mir. »Mr. Ty«, flüstert er, »soll ich vielleicht das Drahtnetz holen, sí ?« Und dann, als ich nicht antworte: » No le va a disparar – Sie wollen Lily doch nicht erschießen, Mr. Ty, no ?«
    Ich beiße nur die Zähne zusammen – jedenfalls was von ihnen übrig ist.
    »Das Betäubungsgewehr, porqué wir können ihr nicht einfach einen Schuß verpassen?«
    Ich pirsche weiter. Geduckt und mit den schmerzenden Rückenmuskeln eines Mannes in den Siebzigern, das Gewehr in meinen schwitzenden, schwachen Händen schwer wie ein Stapel Ziegelsteine, die Augen tränen, hören kann ich auch kaum noch etwas, und ich habe einfach keine Energie, ihm zu antworten. So ein Tier betäubt man nicht einfach, nicht auf so kurze Distanz – selbst wenn es gelänge, Lily gut zu treffen, würde sie mir noch das Gesicht wegfetzen, ehe die Droge ihr die Kraft aus den Beinen zöge, und noch vor dem ersten Gähnen hätte sie längst den Kopf in meinen Eingeweiden vergraben. Das hier ist kein Patagonischer Fuchs. Keine Naht im Krankenhaus. Hier geht es um alles oder nichts. Gute Nacht, das war’s, und Schluß und aus.
    Oben ist alles ruhig. Die Schlafzimmertüren sind fest geschlossen, die Energiesparröhren glimmen in ihren Halterungen, es regiert die Stille. Ich spreche nicht mit Chuy, und er spricht nicht mit mir. Wir atmen mühsam, die Luft stockt uns in den Nasenlöchern, ein unglaublicher Gestank nach Hyäne: Urin, Exkremente, verwesendes Fleisch. Das Geschenkeverpackungszimmer ist linker Hand vor uns, drei Türen noch. Mehr als alles auf der Welt wünsche ich mir, daß diese Tür zu ist, daß Chuy sie mit einer anderen verwechselt hat, daß alles nur falscher Alarm ist, ein Schabernack auf meine Kosten, nur ein kleiner, folgenloser Anlaß für Gelächter bei Kaffee und Keksen. Aber so ist es nicht, eindeutig nicht, Leute, denn wir sind jetzt nahe genug dran, um zu sehen, daß die Tür tatsächlich offensteht, weit offen, bis auf die Angeln aufgeklappt wie ein großes zahnloses Maul.
    Ich erstarre zur Salzsäule. Meine Beine fühlen sich an wie frisch abgesägt und verkehrt herum wieder angesetzt, die Finger sind steif, und ich glaube, ich kriege einen Herzanfall. Und die Büchse ist jetzt schwer wie eine Feldhaubitze. »Der Stuhl da«, flüstere ich und deute mit dem Kinn zuerst auf Chuy und dann auf eine unbezahlbare Antiquität aus den Neunzigern, einen Stuhl aus Chrom und schwarzem Plastik, bis Chuy endlich kapiert und das Ding von der Wand holt und zu mir herüberschiebt. Ich stütze die Büchse auf der Rückenlehne ab, den Finger am Abzug, den Lauf auf die offene Tür gerichtet, optimale Hyänenhöhe, und nun schleicht sich Chuy – der behutsamste Mensch der Welt, ein Drahtseilakrobat, der über eine Schlangengrube balanciert – zentimeterweise auf die Tür zu.
    Ich hab in meiner Zeit schon etliche üble Momente erlebt, schlechte Momente wie kleine Geschosse, abgefeuert von den Schicksalsgöttinnen, aber das hier schlägt jeden davon. Ich bin auf alles gefaßt – jedenfalls so gefaßt, wie man es von einem weitgehend kaputten jungalten Mann mit nachlassenden Reflexen und einem ernsthaften Verlust an Zuversicht erwarten kann – aber da kommt nicht Lily zur Tür herausgesegelt, sondern Mac. Mac . Er trägt seine übliche Tarnung, halb Tambourmajor, halb Gangster aus einem schlechten Schwarzweißkrimi der vierziger Jahre, die Beine gleiten wie an seidenen Schnüren, im Arm hält er einen Stapel bunt verpackter Pakete, und er pfeift – tatsächlich, er pfeift – irgendeine Motown-Melodie aus den Sechzigern. Es dauert einen Augenblick, dann fällt es mir ein – die Supremes: Stop in the Name of Love .
    Ich bringe nichts heraus. Aber Chuy, der offenbar nicht imstande ist, die Dinge so kompliziert werden zu lassen wie ich, hat damit keine Probleme. »Mr. Mac«, sagt er und wedelt balancehalber die Seiltänzerarme, »denke ich, Sie passen besser gut auf. Cuidado , wissen Sie?«
    Wie gesagt, meine Ohren könnten besser sein, Jimi Hendrix’ Voodoo Chile vibriert für immer in der Cochlea meines linken Ohrs nach, und ich kriege Macs gemurmelte, von Gaze gedämpfte Antwort nicht ganz

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