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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zu kriegen auf der langen Fahrt durch das Central Valley – Country oder Mexikanisches, eins von beiden –, aber in der Nähe von Stockton bekam er einen Oldies-Sender rein, erst das hypnotische Genudel von Jerry Garcia, gefolgt von einem ewigen Raga, mit denen Ravi Shankar in den Sechzigern sein Publikum beglückte. Das war in Ordnung. Die Gitarre kletterte die Leiter hinauf und wieder hinunter, hinauf und wieder hinunter, dann wieder hinauf, und die Sitar hüpfte wie ein nervöser Vogel von Ast zu Ast eines ausladenden Baumes. Er spürte die Musik – er sah sie geradezu –, und sie trug ihn zurück in eine Zeit, als Jane und er geblümte Hemden getragen hatten und Hosen mit derartig weitem Schlag, daß sie wie flatternde Segel wirkten, eine Zeit, als sie überall dabei waren und nie lange darüber nachdachten. Damals waren Drogen ein Teil seines Lebens gewesen. Und Protestaktionen. Politischer Protest. Flaggen verbrennen. Parolen johlen. Das Gesicht anmalen, einfach weil es geil war.
    Was er jetzt tat, war etwas anderes. Was er jetzt tat – in diesem Wagen, auf dieser Straße –, war das Vorspiel zu einem Racheakt. So einfach war das, und er gab sich diesbezüglich keinen Illusionen hin. Er fuhr mit ruhiger Zielstrebigkeit, hielt sich an die rechte Spur, außer um die LKW-Karawanen zu überholen, denn er wagte es nicht, die hechelnde Mietkiste viel mehr als fünfzehn Stundenkilometer über das Limit zu treiben: es lohnte einfach nicht das Risiko, hier angehalten zu werden. Es war auch keine gute Idee, daß viele Leute ihn sahen, deshalb hielt er nur zum Tanken an, und dabei kaufte er sich immer gleich einen Hot dog mit Chili und Käse oder einen Burrito aus der Mikrowelle, dazu eine Cola oder eine Tasse Kaffee, nur ein weiterer anonymer Reisender in einer ganzen Nation von Reisenden. Er fuhr den lichtdurchfluteten Nachmittag hindurch in den Abend und die Dämmerung hinein, dann funkelten die Sterne und die Scheinwerfer, bis er in einer Art Trance beim vagen Licht des Tagesanbruchs die Staatsgrenze von Oregon überquerte. Er fühlte sich flau im Magen – zuviel Fett –, und das Koffein war zu Schlick in seinen Adern geworden, deshalb verließ er die Autobahn und wählte immer verlassenere Wege, bis er einen Platz fand, wo er unter den Bäumen parken und ein wenig schlafen konnte.
    Es war nach vier Uhr nachmittags, als er aufwachte. Er dachte kurz an Andrea und an Sierra. Sie würden sich sorgen und, was Andrea anging, auch ärgern – er hörte sie zetern: Du Idiot, du Dussel, was denkst du dir eigentlich? Genug jetzt, Ty. Es reicht. Laß es gut sein . Die Stimme hallte in seinem Kopf wider, der Streit eine vertraute Litanei, aber er blieb ungerührt. Er schlug sich in die Wälder, kaute auf dem kalten Rest eines Bohnen-Burritos herum und kippte ein Wasser aus der Plastikflasche. Als er mit dem Frühstück fertig war, wusch er sich in einem Bach und verrichtete seine Notdurft (wie es sich gehörte, mit aller Sorge um die Wasserqualität und etwaige Umweltverschmutzung), die restlichen Stunden des Tages legte er sich auf ein Bett aus Kiefernzweigen und sah in den Himmel.
    Lange Zeit dachte er an gar nichts, dann aber dachte er an Chris Mattingly und den Artikel, den er über das Abenteuer der Tierwaters im primitiven Leben geschrieben hatte. Er hatte es auf das Titelblatt der Zeitschrift Outside geschafft, womit sie schlagartig landesweit bekannt geworden waren, keine Frage. Danach wollte praktisch jedes Presseorgan der USA, von den Illustrierten über die New York Times bis zum Boulevard, von Andrea und ihm wissen, wie sie über den Regenwald dachten, über das Ozonloch, den weltweiten Rückgang der Froschpopulation und das Gefühl, nackt zu sein und sich in einer Laubhütte zu lieben. Der Artikel war über zwölf Seiten lang gewesen, samt Fotos, und jede Zeile hatte eine weitere Schicht Mythos aufgetragen, bis die Kanonisierung perfekt war: sie waren die Heiligen der Bewegung, vergeßt The Fox und die Umweltpäpste Abbey, Leopold, Brower und all die anderen. Tierwater hatte ihn garantiert zwanzigmal gelesen, auf seinem Zellenbett gelegen und ewig die Fotos betrachtet, er erinnerte sich an das Gefühl des Felsens, den Duft der Nachtluft und den Geschmack von Gletscherwasser. Und dann das Titelfoto – er sah es vor sich –: ein Brustbild von ihm selbst und Andrea, die Gesichter verbrannt und verdreckt, sie mit sonnengebleichten Haarsträhnen im Gesicht, alle beide gesund und kräftig aussehend, ein bißchen

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