Grün war die Hoffnung
Schulden an die Gesellschaft, und wie. Mit Zinseszins. Er klammerte sich mit den Lippen an Andrea, solange es ging, und dann saßen sie einander am Tisch gegenüber, sein Ständer pulsierte beharrlich, und sie redeten über Sachen, die nichts bedeuteten, über profane Sachen, über die Sachen in der Welt außerhalb des Drahtzauns. »Das Geschäft ist fast unter Dach und Fach«, sagte sie.
»Welches meinst du – das Einkaufszentrum?«
»Genau. Teo kannte jemanden an der Ostküste – weißt du noch, ich hab’s dir letztesmal erzählt? –, und der ist rübergeflogen und hat unterzeichnet. Nicht daß deine Lieblingsmaklerin uns dabei irgendwie geholfen hätte, das war eine unfähige Dumpfbacke, die etwa so viele Aussichten hatte, das Ding zu verkaufen, wie ich auf die Ernennung zum Premier von China...«
»Elsa war eine gute Bekannte meines Vaters.«
»Mag schon sein, aber sie hätte dieses Objekt nicht mal verkauft, wenn es das letzte Grundstück an der Ostküste gewesen wäre. Sie war müde. Sie war alt, Ty – ich meine, wie alt ist sie? Sechzig? Siebzig?«
»Was haben wir denn gekriegt dafür, nur der Neugier halber? Immerhin muß das ja wohl den Rest unseres Lebens reichen, oder? Nicht so wichtig also.«
Sie schürzte die Lippen. Rutschte auf dem Sitz herum. Warf das Haar nach vorn und strich es wieder nach hinten. »Eins-drei«, sagte sie.
Einen lebhaften Moment lang sah er das Gebäude vor sich, das er da verloren hatte: den mongolischen Grillimbiß, der vorher eine chemische Reinigung und davor ein Kuriositätenladen gewesen war, die dreckigen Fenster des leerstehenden Drogeriemarkts, das Modellbaugeschäft, das ihn als hirnloser Teenager fasziniert hatte, die Wollkugel-Ecke, die Tierhandlung mit ihren schlierigen Aquarien, den genervten Vögeln und diesem Geruch nach überhitztem Tod. Es war eine ideale Immobilie, jedenfalls damals in den Sechzigern, als sein Vater das Ding gebaut hatte. Eins Komma drei Millionen Dollar. Na ja, eins-drei war besser als nichts, und wer wäre schon so verrückt, die Hütte zu kaufen – selbst zum halben Preis?
»Da sind das Bürogebäude und der ganze Schnickschnack nicht dabei«, fügte sie noch hinzu.
Er rechnete es durch. Eins-drei minus die sechshunderttausend für die zweite Hypothek, dazu die rund vierzigtausend Maklergebühr plus Steuern obendrein – trotzdem blieb noch ein nettes Sümmchen übrig. Wie viele Broschüren ließen sich damit drucken? Wie viele Abzugskanäle verstopfen?
»Und das Haus auch nicht, obwohl wir ein schlaffes Angebot dafür bekommen haben, und bei dem Riesengrundstück hinter der Anlage sollten wir – solltest du – es lieber behalten. Da wird der Preis irgendwann explodieren, da bin ich todsicher...«
Und dann war da noch Sierra. Andrea stand auf, und Sierra nahm ihren Platz ein, schlurfte durch den Raum und sank auf den Stuhl, als wäre sie plötzlich gelähmt, während die anderen Häftlinge sich die Lippen leckten und ihr verstohlene Blicke zuwarfen – sie war eine Frau, das war sie bereits, und der Hälfte dieser pädophilen Schweine wäre das ohnehin egal gewesen. Fleisch, darum ging es ihnen, Fleisch und Körperöffnungen. Er wollte aufstehen und jemandem eine reinhauen. Jemandem weh tun. Jemanden bezahlen lassen.
»Hallo, Dad«, flüsterte sie.
Offenbar war Bill Driscoll fristgerecht zur Besuchszeit aus seinen Träumen erwacht. Tierwater hörte ihn, noch bevor er ihn sah – er saß drei Mann neben ihm und lehnte sich auf beide Ellenbogen gestützt nach vorn, während Bunny, seine Frau, ihn in so starrer Haltung gegenübersaß, als wäre sie auf den Sitz genagelt. »Ein paar von diesen – wie nennst du die? – Karamellen?« dröhnte er. »Die, die man sich im Supermarkt selber abwiegen kann. Und dann noch was von diesem anderen Kauzeug, was ich mag, das mit den drei Schichten und den Kokosflocken drauf. Eine große Tüte. Von beidem.«
»Was denn?« fragte Tierwater. »Kein Kuß?«
Sierra senkte den Blick auf den Schoß, und ihr Gesicht war schlichtweg ein Wunder, die seidigen Lider, die Wimpern dick und dunkel und frei von Wimperntusche, die Nase ihrer Mutter, auch die Augen von Jane. Dann stand sie auf, er ebenfalls, und sie legten die Hände vor sich flach auf den Tisch und drückten einander ihre Küßchen auf. »Kein Make-up«, bemerkte er, als er sich wieder auf den Stuhl niederließ. »Ist das wegen« – er nickte in Richtung der langen Reihe von Stühlen und der meist sehr jungen Häftlinge, die auf ihnen
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