Grün war die Hoffnung
Spießrutenlauf der Reporter ableisten. Die Minicams surrten, man stieß ihm Mikrofone ins Gesicht: Mr. Tierwater, Mr. Tierwater, he, Ty, hier drüben. Ty, Ty ! Glauben Sie, daß der Wald zu retten ist? Wie sind Sie da drin behandelt worden? Was ist mit dem Fleckenkauz? Planen Sie neue Protestaktionen? Glauben Sie an den Nudismus? An das Vegetariertum? An Kristallenergie? Er umarmte seine Tochter, umarmte seine Frau, küßte sie beide für die Kameras, stand eine halbe Stunde vor dem Gefängnistor und schwang Reden und posierte mit Teo und der Präsidentin der E.F.!-Sektion von Santa Barbara, mit berühmten Vogelkundlern und landesweit bekannten Baumschützern, bis ihn Andrea entführte und er die Autoschlüssel in der Hand hielt, und dann rollte der Wagen die Asphaltstraße entlang auf die Autobahn. »Was meint ihr«, sagte er und drehte sich um zu seiner grinsenden Frau und dann zu der ihn anhimmelnden Tochter auf dem Rücksitz, »ob es The Fox wohl je so gut gehabt hat?«
Nein. Die Antwort war nein. Denn so ein Gefühl gab es gar nicht, nichts in seinem Wortschatz konnte es ausdrücken. Er war wie elektrifiziert von Emotionen, er tanzte in den Socken, wiegte sich im Sitz. Ein Druck aufs Gaspedal, und er spürte, wie das Auto schneller fuhr, ein Tritt auf die Bremse, und es blieb stehen. Am Morgen sang er in der Dusche und ließ das Wasser laufen, bis es kalt wurde. Der Toaster war ein Wunder, der Duft von Roggentoast, das Licht in den Fenstern. Jeder gewöhnliche Augenblick jedes gewöhnlichen Tages war so schön, daß er hätte heulen können. Den Startknopf des Geschirrspülers drücken, mit der Fernbedienung lässig die Glotze in Gang setzen, unter dem Walnußbaum im Garten stehen und die Haubensperlinge durch die Zweige huschen sehen: so drückte sich der unermeßliche Reichtum seines frisch gesalbten Lebens aus. Die Mikrowelle brachte ihn zum Weinen. Bier im Sechserpack. Die Tagesdecke auf dem Bett.
Und trotzdem – bei all dem Hochgefühl jener ersten Tage, trotz der Interviewer an der Tür mit ihren Mikros, Kassettenrecordern und gelben Notizblöcken, trotz seiner guten Gefängnisvorsätze, sich Sierras Schularbeiten anzusehen und zu den Elternabenden zu gehen, zu säen und zu mähen, zu düngen und zu mulchen wie all die anderen Gartenbesitzer –, trotzdem langweilte sich Tierwater bis in die Nähte seiner Socken, noch ehe die Woche um war. Oder es war eigentlich keine Langeweile – im Knast war es langweilig –, eher Rastlosigkeit, ein Gefühl der Leere und der Ohnmacht, die wachsende Gewißheit, daß alles nur eine Charade war. Die Tiere starben, die Wälder fielen. Und es standen noch etliche Rechnungen offen.
Er sagte zu niemandem ein Wort. Wartete nur, bis Andrea zur Arbeit an den Telefonen des E.F.!-Büros ein paar Blocks weiter an der Straße gegangen und Sierra sicher in der Schule abgesetzt war, dann wühlte er in der Garage nach Strickmütze und Fettschminke, nach Brecheisen, Bolzenschneider und Schraubenschlüsseln, alles mit schwarzem Isolierband umwickelt, um den Kuß von Metall auf Metall zu dämpfen, und die Taschenlampe mit dem roten Nagellack auf dem Glas. Und wie lauteten die Vorschriften des Bewährungsrichters? Innerhalb der Stadtgrenzen von Los Angeles bleiben, sich einmal wöchentlich beim Bewährungshelfer melden, keine Protestaktionen, keine Demonstrationen, keine Kontakte mit Baumschützern, weder friedlichen noch radikalen, vor allem aber keine illegalen Aktivitäten irgendwelcher Art. Keine außerfahrplanmäßigen Touren. Keine Nachtarbeit. Keine Sabotage. Das hatte der Richter überdeutlich zum Ausdruck gebracht.
Ja. Scheiß auf den Richter.
Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze Stiefel: Tierwater sah aus wie jeder andere Angeleno von Anfang Vierzig, als er an der Straßenecke in den Bus stieg. Er stellte den Rucksack – schwarz, ohne Logo – auf dem Sitz neben sich ab und sah die Supermärkte, Restaurants, Schnäppchenläden und Reifenhändler an den schlierigen Scheiben vorbeiziehen, bis irgendwann in einem Meer von schimmernden, buckligen Autos das Schild von Budget Car auftauchte. Dort verwandelte er sich in Tom Drinkwater, und obwohl ihm klar war, daß das ein Problem gäbe, wenn sie ihn erwischten, reichte er dem Mann von der Leihwagenfirma die Visa-Karte von Tom Drinkwater und zeigte ihm den kalifornischen Führerschein von Tom Drinkwater, in der linken unteren Ecke ein Foto von sich selbst, auf dem er etwas verdutzt dreinblickte.
Im Radio war nicht viel
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