Grün war die Hoffnung
ich gar nicht mehr weiß, daß ich sie erlitten hatte.
Sie versteht mich. Andrea, meine Frau vor tausend Jahren und auch jetzt wieder meine Frau. Leise sagt sie: »Warum nehmen wir sie nicht mit?«
Los Angeles, September 1993/Scotia, Dezember 1997
Tierwater kehrte reichlich erschüttert von seinem nächtlichen Abenteuer in Oregon zurück, und längere Zeit danach – fast zwei Jahre – führte er das Leben eines braven Bürgers, beispielhaften Vaters und ergebenen Ehemannes. Jedenfalls gab er sich Mühe. Große Mühe. Er arbeitete nicht, so etwas Profanes und Ödes wie einen Job brauchte er nicht – seine einzige Qualifikation bestand ohnehin nur darin, altmodische Einkaufszentren in den Sand zu setzen, und dafür gab es herzlich wenig Bedarf in Südkalifornien, wo die vielen Maxi- und Mini-Malls während der letzten zehn Minuten gebaut zu sein schienen –, außerdem war von dem Geld seines Vaters, jenem Geld, das Andrea und Teo aus dem Stein hatten quetschen können, der all die Jahre auf ihm gelastet hatte, noch genügend da, um zumindest eine Weile lang gut damit leben zu können. Und so stürzte er sich kopfüber ins Kleinbürgerdasein, auch wenn es das krasse Gegenteil von dem war, wonach er als Umweltschützer gestrebt hatte, aber egal: es war jedenfalls sicher. Und es bot ein weiches Nest für Sierra. Nur sie war jetzt wichtig, und was sie brauchte, das war ein Vater mit geregeltem Leben, ein sonnengebräunter, grinsender, unkomplizierter, hamburgergrillender Vater, der ihr ans Gartentor entgegenkam und nach dem Abendessen mit ihr über den Geometrieaufgaben rätselte – nicht irgendein eingesperrter Held.
Aber jeder Tag schien ewig zu dauern. Andrea arbeitete und verdiente fünfundachtzigtausend Dollar im Jahr als Vorstandsmitglied von E.F.!, und Sierra war in der Schule, wo sie allmählich ihre Grufti-Clique hinter sich ließ und in den Griff der ungeschminkten, erderettenden Neo-Hippie- und Veganer-Truppe geriet. Und was tat Tierwater, abgesehen davon, daß er zum eingefleischten Hausmann, Drei-Gänge-Menü-Koch und Kotrainer von Sierras Freizeit-Fußballteam wurde? Er gärtnerte. Oder genauer gesagt, er betrieb Landschaftsgestaltung.
Das Haus war gemietet, aber sie hatten eine Kaufoption, und Tierwater hätte so oder so gepflanzt, gemulcht, gebuddelt und gegraben – es war ein Zwang, oder es wurde bald dazu. Das Haus war eine klassische, breit ausladende Ranch aus den späten vierziger Jahren und stand auf einem halben Hektar Grund in einer eindeutig wohlhabenden Wohngegend. Das Problem war nur, daß sämtliche Pflanzen – Pittosporum, Glyzinien, Myrten und Sagopalmen, große Beete mit Fleißigem Lieschen, Efeupelargonien und Immergrün – keine heimische Vegetation waren, Wasser verschwendeten und die Umwelt schädigten. Er riß sie heraus. Riß alles heraus und zerkleinerte Stiele, Blätter und Wurzelballen in einem lauten Shredder, dann bepflanzte er den Garten mit heimischen Gewächsen neu. Neben dem Haus setzte er Sykomoren, Walnußbäume und immergrüne Eichen ein, und auf dem nach Westen gewandten Hang dahinter pflanzte er Säckelblumensträucher, gefleckten Knöterich, Catalinakirschen und gewaltige Schneisen von Yucca. Ebenso bestimmt war er mit dem Swimmingpool. Er konnte nicht damit leben – schlicht und einfach. Da war er, blinkte künstlich in der Sonne, verschlang Strom, Chemikalien und Wasser, das den weiten Weg vom Sacramento und Colorado River herübergepumpt werden mußte. Es war obszön, nichts anderes. Und so kündigte er, trotz Andreas Protesten, dem Pool-Mann schon nach zwei Monaten, ließ einen Meter Wasser ab und warf Steine, Erde und Pflanzenreste in das Becken, womit er eine Art Teich schuf, in dem Wasservögel sich mit Laubfröschen und der gemeinen Kröte vergnügten.
Der Besitzer des Nachbargrundstücks – Roger Soundso, Tierwater bekam den Nachnamen nie richtig mit – bezweifelte die Weisheit dieser Entscheidung. Roger war Investmentmakler und trug langärmlige gestreifte Hemden, sogar beim Beschneiden der Rosen oder wenn er mit dem schlangenartigen grünen Gartenschlauch seinen Rasen überwässerte. »Da brüten nur die Moskitos«, meinte er eines Nachmittags, den langen Hals über den Redwoodzaun gereckt, der ihre Gärten trennte.
Tierwater hatte zwar längst mückenlarvenfressende Koboldkärpflinge (Gambusia affinis holbrooki) in seinem Teich ausgesetzt, aber das sagte er Roger nicht. »Besser als Spießerdrohnen«, sagte er.
Der Rasen vor dem Haus wurde
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