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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sprießendes Bouquet harter grüner Blumen, dann ging er in die Garage, um nach der Strickmütze zu suchen.
    Weit kam er nicht. Nicht an diesem Abend. Es gab ein Problem auf der Autobahn, Bauarbeiten am Seitenstreifen, eine Verbrecherjagd, ausgelaufene Chemikalien, Möbelwagen auf der Überholspur, ein Irrer, der mit seinem Pickup eine Ausfahrt blockierte und mit Selbstmord drohte – was immer. Wann gab es eigentlich mal kein Problem auf der Autobahn? Tierwater saß im Stau, steckte im Verkehr fest, und er kochte. Wo er auch hinsah, waren Autos – Autos, die von Apartments und Hochhäusern eingezwängt waren, von Restaurants, Parkplätzen und Kfz-Händlern –, und jedes pumpte pro Jahr sein eigenes Gewicht in Kohlenmonoxid in die Atmosphäre, immer und ewig. Im Radio gab es Talkshows und Skandale. Ein Baseballspiel. Oldies. Er hörte sich die Oldies an und fühlte sich nur alt dabei. Der Verkehr kroch dahin wie eine Armee im Anmarsch auf ein fernes Ziel, und er kroch mit, verfluchte die anderen Fahrer, ließ den Jeep Meter für Meter vorwärts kriechen, bis er die nächste Ausfahrt erreichte, die aber total blockiert war, genau wie die Straßen, zu denen sie führte.
    Sierra machte es richtig. Sie verweigerte das Autofahren. Wollte gar keinen Führerschein. Der Bus ist gut genug für mich, sagte sie. Oder die Jungs. Jungs bringen mich, wohin ich will. Die stehen doch Schlange, Dad, zehn an jedem Finger. Jungs, aha! sagte er, na sicher, und dabei zwinkerte er, weil er auf ihren Köder nicht anbiß. Aber erzähl ihnen auf jeden Fall: My heart belongs to Daddy .
    Wann war das gewesen – gestern? Vor einer Woche? Daran dachte er, und sein Zorn verflog, während der Jeep vorwärts rollte – die Schlange bewegte sich jetzt, das Auto ganz vorn fuhr ruckartig an, dann das dahinter und das nächste, die Bewegung wurde über Hände und Füße und Gaspedale in einer ununterbrochenen Kette weitergegeben –, bis er verdattert auf die Bremslichter des Wagens unmittelbar vor ihm starrte und selbst auf die Bremse trat, und zwar heftig. Denn in dem Augenblick, als alle losgefahren waren, hatte sich ein eckiger japanischer Kleinwagen frech von der Seite in eine Lücke zwischen die vorderen Autos gemogelt, woraufhin zwanzig Fahrer in der Schlange – betagte wie inkompetente, betrunkene wie kranke – schleunigst scharf bremsten. Ehe er nachdenken konnte – ehe er noch mit den Augen zwinkern oder die Zähne zusammenbeißen konnte –, wurde Tierwater auf dem Sitz zurückgerissen und dann nach vorn geschleudert, als der Wagen hinter ihm auf seine Stoßstange auffuhr, dem Jeep das Heck zerknautschte und ihn willenlos in den Wagen davor krachen ließ.
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nie genau gewußt, was ein Peitschenschlagsyndrom ist – gepeinigte Muskelfasern, Schmerzen im Nacken und in den Schultern, als hätte man ihm eins mit der Dachlatte übergezogen, er war angeschlagen, ja ausgezählt, doch das hinderte ihn nicht, aus dem Wagen zu springen und auf den Idioten loszugehen, der ihn gerammt hatte. Was war nur los mit diesen Leuten? Wie konnten sie so leben? Wußten sie nicht, daß es da draußen eine Natur gab?
    Der Smog war wie Senfgas, er brannte ihm in der Lunge. Überall lag Müll herum, zu beiden Seiten der Ausfahrt verstreut wie die Überreste einer ausgebombten Zivilisation: Dosen, Flaschen, Schachteln vom Schnellimbiß, angepißte Windeln und verrostende Einkaufswagen, Ölfilter, Styroporbecher, Zigarettenstummel. Das Gras war tot, die Oleanderbüsche von Staub begraben. Ein einsamer Eukalyptusbaum, zwanzigtausend Kilometer weit entfernt von dem Kontinent, von dem er stammte, thronte über der Szenerie wie ein Symbol für Trockenfäule. Man hörte ferne Schreie, Flüche, das gellende, nicht einzudämmende Hupen der Autos und Sirenen, die allgegenwärtigen Sirenen, die über alles einen schrillen Grabgesang legten.
    Tierwater riß die Tür des Wagens hinter seinem auf, keinerlei Bedarf an Vernunft, eine Schwelle war überschritten, wieder einmal, Andrea, Teo, die ganze Scheißkloake dieser Menschenwelt, und er war zu allem fähig. Hier, hier in dieser klapprigen, stinkenden, zerbeulten Blechkiste steckte das Gesicht des Feindes, eines spezifischen, unverwechselbaren Feindes wie Johnny Taradash, und er hatte die Linke auf dem Türgriff, die Rechte zur Faust geballt, alle Hupen dieser Welt tröteten... dann aber sah er das Gesicht und hielt inne.
    Es war ein asiatisches Mädchen, siebzehn, achtzehn, nicht älter als

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