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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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drückt mit einem klauenartigen Finger auf die Fernbedienung, worauf die tomatenrote Schiebetür hinter ihm zugleitet. Und nun ist der Rollstuhl in Bewegung, die Eingangstür der Bar schwingt auf, und er ist im Raum.
    Ich spüre keinerlei Schuld, keinen Funken – damit ist es vorbei. Aber neugierig, das bin ich sehr wohl, und vielleicht auch ein bißchen wütend. Oder eher rachsüchtig. Ich fühle mich groß, richtig berüchtigt fühle ich mich auf einmal: Tyrone O’Shaughnessy Tierwater, der Öko-Rächer, das Phantom von Kalifornien, die menschliche Hyäne. »Hallo«, sage ich, als der motorisierte Stuhl an mir vorbeirollt, und beuge mich vor, um ihm ins Gesicht zu grinsen, »wie läuft’s denn so?«
    Nichts. Er ist so eingeschrumpelt und zerknittert wie ein Schrumpfkopf in Salzlake mit dem restlichen Körper noch dran, ein kleines Männchen aus nicht zusammenpassenden Teilen, das im funkelnden Stahl und polierten Aluminium seines Gefährts steckt. »Vincent«, ruft er, und seine Stimme klingt wie eine quietschende alte Scheunentür, »ich nehm das Übliche.«
    Eine Flasche Scotch – echter Scotch, Dewar’s, ein antiker Schatz – taucht wie von Zauberhand auf, und wir sehen beide zu, wie der Barkeeper ein Cocktailglas aus dem Regal nimmt, einen großzügigen Schuß einschenkt und einen Spritzer Wasser hinzufügt. Dann kommt er hinter der Theke hervor, den ganzen weiten Weg, und drückt dem alten Versicherungsheini den Drink vorsichtig zwischen die starren Finger. Quinn hebt ihn zitternd an die Lippen und leert das halbe Glas auf einen Zug, dann stellt er es sich in den Schoß und wendet mir das zerknautschte alte Gesicht zu. »Also, Mister Neuzugang«, sagt er, »du tust ja recht freundlich mit diesem breiten Grinsen im Gesicht – aber kenne ich dich nicht von irgendwoher?«
    Ich werde es ihm nicht leichtmachen. Ich zucke nur die Achseln, aber ich sehe Andrea aus dem Augenwinkel zurückkommen, in ihren flachen Schuhen, Rouge und Lippenstift sind aufgefrischt.
    Die Windungen eines Gehirns, das noch älter als der Kopf ist, in dem es steckt, brauchen eine Weile, und erst Andreas Auftauchen an meiner Seite bringt ihn darauf, dann aber verengen sich seine Augen und er sagt: »Klar kenn ich dich. Ich weiß genau, wer du bist.«
    Andrea lächelt. Sie hat keine Ahnung, worum es geht.
    Er scheint das Glas wieder zum Mund heben zu wollen, ein gefrorenes Grinsen auf dem Gesicht, ein berechnendes Blitzen in der Tiefe seines umwölkten Blicks. Seine Nase – er popelt an seiner Nase herum, fährt sich mit dem Finger am unteren Rand entlang, dann kramt er nach seinem Taschentuch und hält es sich vors Gesicht. Wir sehen schweigend zu, wie er den Kopf auf der wackligen Stütze des Nackens dreht, um seine Nase einer ausgedehnten, sorgfältigen Reinigung zu unterziehen, und dann beobachten wir, wie er das Taschentuch wieder faltet und ordentlich in der Tasche verstaut, als hätten wir so etwas noch nie gesehen. »Hör mal«, sagt er, »jetzt nach so vielen Jahren...« Er legt eine Pause ein, als hätte er den Faden verloren, aber es ist nur gespielt, und ich sehe, wieviel Spaß es ihm bereitet. Aber ich habe auch meinen Spaß. O ja. »Was ich fragen wollte: du hast doch das Feuer gelegt damals, oder? Und diese Maschinen zerstört? Was? Hast du?«
    Der Barkeeper blinzelt, als wäre er soeben aus einem Traum erwacht. Andrea legt mir die Hand auf den Arm. »Nur um die Neugier eines alten Mannes zu stillen«, keucht Quinn.
    Ich beuge mich zu ihm vor, Andrea drückt sich eng an mich, der Barkeeper hängt über der Führungsstange des Tresens wie ein Sack Getreide, und ich lasse mir Zeit für eine gute Aussprache und die Komplikationen meines Zahnersatzes. »Ja«, sage ich so deutlich wie möglich, damit es keine Mißverständnisse gibt, »ich habe den Brand gelegt und die Sachen zerstört, und weißt du was? Ich würde es wieder tun. Gern sogar.«
    Oh, dieser Blick. Er ist der weise Mann aus dem Märchen, der Quizmaster, das Orakel in der Höhle. Sein Doppelkinn zittert, und der Drink, inzwischen vergessen, steht bedrohlich schief in seinem Schoß. »Und was hast du erreicht? Sieh dich doch um – sieh dich nur um und beantworte mir das.«
    Das ist es, der Punkt, auf den wir hingearbeitet haben, der Sinn von alledem, durch wie viele Jahre und wie viele Verluste hindurch, kann ich nicht einmal ansatzweise zählen, und die Antwort liegt mir auf den Lippen wie ein Brocken von etwas so Ekligem und Bitterem, daß man nicht anders

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