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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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alle gleichzeitig an zu reden, Anschuldigungen flogen hin und her, man hörte schlechte Witze, jemand blies wieder und wieder denselben Ton auf einer Mundharmonika, Ronnie kam aus dem Scheinwerferlicht und sank wieder zurück in sein Nest aus Kissen wie eine Eidechse, die in ihrer Spalte verschwindet. Lydia ergriff seine Hand, und Merry schenkte ihm ihr Ein-Millionen-Kilowatt-Lächeln, doch er wandte sich an sie, an Star, um sein Plädoyer zu halten. Er schüttelte den Kopf, und das galt auch Marco, denn Marco musterte ihn aufmerksam. »Ich schwöre es«, sagte Ronnie. »Ich schwöre, daß ich nichts gemacht hab.«
    »Rausschmeißen!« brüllte Jiminy. »Werfen wir die bloß raus!«
    »Wen?«
    »Die Schwarzen! Schmeißen wir die endlich raus hier. Norm, komm schon, Norm ...«
    Alle Blicke richteten sich auf Norm Sender, der wie der Buddha in der Mitte des Tisches saß, und einen Sekundenbruchteil atmeten alle aus. Doch Norm wollte nichts damit zu tun haben: er senkte den Kopf und schrumpfte auf halbe Größe. »Land, Auf Das Jeder Ein Anrecht Hat«, sagte er.
    »Aber jemand muß etwas unternehmen – das geht ja da draußen zu wie in Der Herr der Fliegen , Mann.«
    »Ach ja, sicher doch – und wie geht es hier drin zu?«
    »Hey, fick dich doch.«
    »Nein, fick du dich!«
    Es war einfach zuviel. Star lag auf die Ellenbogen gestützt auf dem Bauch und wünschte, sie würden endlich den Mund halten. Sie fragte sich, wo Harmonie und Freude geblieben waren und weshalb sich alle hier andauernd anpflaumen mußten, und dann fiel ihr Blick auf Ronnie, sie sah in seine Augen und entdeckte in seinem Blick einen eiskalten Kern des Triumphs, versiegelt und unerreichbar für alles, was hip war. Sie wollte ihm das eben zum Vorwurf machen, als sie spürte, wie die Wärme an ihrer Seite verschwand, und dann blickte sie auf Marcos zerschlissene Jeans und das verblichene Leder seiner Stiefel, die sich jetzt in den Boden stemmten. »Hey!« sagte er. »Hey, alle mal herhören!« Er steckte sich zwei Finger in den Mund und brachte einen jener Fingernagel-auf-Schultafel-Pfiffe hervor, die man bei Footballspielen und Rockkonzerten hörte.
    Es wurde still. Alle sahen ihn an. »Sagt mal, warum geht nicht einfach jemand hin und redet mit ihnen?«
    »Mit denen reden?« wiederholte Alfredo ungläubig. »Wenn sie reden wollten, wären sie ja wohl hier, oder? Aber nein, die bleiben unter sich und saufen lieber, oder sie suchen sich die nächste Vierzehnjährige zum Vernaschen.« Er sah sich im Raum um. »Und wer sollte das denn machen? Du etwa? Meldest du dich freiwillig?«
    »Ja«, sagte Marco und nickte langsam. »Ich denke schon.«
    An jenem ersten Tag, als er sie in seinen Baum gehoben hatte, als würde der Wind durch sie hindurchwehen, war es ein Gefühl, als wäre sie die Heldin in einem Märchen, wie Rapunzel vielleicht – oder nein, das ging anders. Wie Leda vielleicht, total eingehüllt in ihre gefiederte Pracht. Leda und der Schwan . Das war ihr Lieblingsgedicht im Literaturkurs gewesen, immer wieder hatte sie es gelesen, bis es ein Teil von ihr geworden war: so viel Wirrwarr und Verhängnis, das da einem einzigen leichtfertigen Moment entsprang, und das hatte schon was, o ja, aber was ihr das Blut ins Gesicht steigen und die Finger kribbeln ließ, das war das Bizarre an dem geschilderten Akt selbst. Sich das vorzustellen. Davon zu träumen. Das Flattern der Flügel, der Geruch, die Gewalt. In allen übrigen Gedichten der Anthologie ging es um Blumen oder den Tod oder griechische Vasen, aber dieses handelte davon, mit einem Schwan zu ficken. Sie erinnerte sich an ihr Erstaunen und wie sie erst überlegt hatte, wie das gehen könnte – hatten denn Vögel überhaupt einen Penis? –, nicht nur die Fragen der Mechanik, sondern die Szene als Ganzes. Hob er sie hinweg in die Lüfte, oder fühlte es sich nur so an? Wie groß war er überhaupt? Und wessen Samen trug er in sich – den von Zeus, hatte der Prof gesagt, aber wie konnte das funktionieren, und wäre Helena dann nicht zur Hälfte ein Vogel gewesen?
    Marco hatte ihr einen Joint gereicht, und sie hatte ihn reflexartig genommen. Die drei Tage davor hatte sie ihren Kopf gereinigt und nichts Stärkeres als Früchtetee zu sich genommen, Maya hatte Zwiebeln geschält und mit ihrer piepsigen Spinnenstimme was darüber gebrabbelt, daß man auch ohne Drogen zu einem natürlichen High gelangen konnte, zu jenem Einssein, von dem die Gurus sprachen, zur Glückseligkeit in einer überhitzten

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