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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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in diesen Dingen mußte sie sattelfest und bewandert sein, dennoch ging das meiste von dem, was er sagte, an ihr vorbei – sie lauschte seiner Stimme, nicht den Worten. Seine Stimme hypnotisierte sie auf eine Weise, die sie bei Fred Stines nie verspürt hatte. Sie sprach zu ihr in einem Tonfall, der sie durchströmte wie ein breiter Fluß, wie ein elektrischer Schlag in einer Steckdose oder von der Lampe mit Wackelkontakt, die sie als Collegestudentin amateurhaft repariert hatte. Er redete – und jetzt war er überhaupt nicht mehr schüchtern, kein bißchen –, und sie hörte zu. »So«, sagte er irgendwann, sie standen unten am Wasser und starrten in das Kanu, »wollen wir jetzt ein bißchen paddeln und mal sehen, was wir zum Abendessen aufscheuchen können? Magst du zum Beispiel Ente? Ente mit Jungzwiebeln und einem Schuß von der selbstgemachten Extra-Super-Spezial-Gewürzsauce à la Sess Harder?«
    Unter dem Kanu verwandelten sich die runden Steinchen in kecke Wölkchen, die Fische wurden zu den schwarzen Silhouetten vorbeifliegender Vögel. Sie war mit Sess Harder auf dem Fluß, mit Sess Harder in der Wildnis, und sie liebte auf einmal alles. Sie paddelten angestrengt, stromaufwärts, gegen einen leichten Wind. Sie spürte sein Gewicht hinter sich, das Kanu war wie eine Wippe auf einem Spielplatz aus Wasser, und sie fühlte die Kraft seines Paddels, während sie Felsen und umgestürzten Bäumen auswichen und geschickt kleinere Stromschnellen querten, wo das Wasser plötzlich brodelte. Es erforderte hohe Konzentration, und zum erstenmal, seit er gestern nachmittag auf die Terrasse des Restaurants hinausgetreten war, hatte keiner von beiden das Bedürfnis zu sprechen. Erst als sie eine Biegung umrundeten und sie hoch über dem jenseitigen Ufer ein Gebäude stehen sah, brach sie verblüfft das Schweigen: »Meine Güte, Sess«, sagte sie und drehte sich zu ihm um, »was ist denn das – ein Blockhaus? Hier draußen?«
    Ja, es war ein Blockhaus. Kein Zweifel. Eingekerbte Stämme, das Blitzen von Fensterglas, die Sonne auf dem Kiel eines umgedrehten Aluminiumboots, das ordentlich an der Vorderseite lag. Die Hütte hatte ein Dach aus Grassoden, und etwa drei Meter lange Bäume sprossen aus ihrem Inneren, als wäre es das Bild eines Hexenhäuschens aus dem Märchenbuch. Sess paddelte einfach weiter, mit dem gleichmäßigsten Schlag der Welt. »Stimmt genau«, sagte er.
    »Hey, daß ich hier in einer Reihenhaussiedlung wohnen werde, hast du mir aber nicht gesagt!« Sie versuchte, einen Ton von amüsiertem Tadel anklingen zu lassen, aber sie war fassungslos, einfach fassungslos, denn was hatte denn das Ganze für einen Sinn, wenn hinter jeder Flußbiegung irgendein Nachbar hauste?
    »Mach dir deswegen keine Gedanken, Pamela«, sagte er, und das Blockhaus entschwand schon aus ihrem Blickfeld. »Da wohnt keiner. Seit über einem Jahr steht es leer.«
    Das Paddel zog durchs Wasser, und sie fühlte es in den Schultern, fühlte sich wieder energisch werden. »Aber wer ...?«
    »Ein alter Knacker, echt ein Original, ein richtiger Spinner von abgerissenem Trapper. Stank immer mächtig nach den Gänseflügeln, die er in Biberschmalz einlegte, um damit Luchse zu ködern – na ja, eben ein Typ, der nur badet, wenn er aus Versehen in den Fluß fällt, was etwa zweimal im Jahr passiert ist.« Er legte eine Pause ein, paddelte aber weiter. »Genau der Typ alter Knacker, wie ich einer geworden wäre, wenn nicht, na, wenn du nicht wärst.«
    Sie ließ die Hoffnungsfreude dieses Satzes kurz auf sich wirken, dann fragte sie: »Aber wo ist er jetzt – ich meine, ist er gestorben?«
    »Ach was, nein – zum Sterben war der viel zu verrückt. Hat sich zur Ruhe gesetzt. Die Schneeschuhe an den Nagel gehängt, seine Goldpfannen zum letztenmal ausgespült und ist nach Seattle gezogen, um mit seinem Bruder in irgendeiner Pension zu wohnen. Weißt schon: Zentralheizung, Farbfernseher, Waschmaschine mit Trockner. Und ein kleiner Streifen Asphalt, um den Pickup drauf zu parken.«
    »Das ist ja schrecklich«, sagte sie.
    »Allerdings«, sagte er, und als sie sich umdrehte, sah sie ihn grinsen. »Gibt nichts Schlimmeres.«
    Dann zogen sie das Kanu auf den Uferkies und marschierten durch ein schweißtreibend dichtes Gestrüpp aus Birken, Espen und Pappeln, zusammengehalten vor allem durch Moskitos, die es in wahren Regimentern durchschwärmten. Sie trug lange Ärmel und Jeans, und sie hatte sich mit Mückenschutz eingeschmiert wie eine Lammkeule

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