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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Also versorgte der erste zunächst mal seine Hunde und trat dann wortlos ein, klopfte seinen Parka ab, setzte sich auf einen Stuhl ans Feuer, sah den anderen einfach nur eine Stunde lang oder so an, dann setzte der einen Elcheintopf aufs Feuer, und sie aßen schweigend miteinander. Dann rauchten sie gemütlich ein Pfeifchen, und als es Zeit wurde, ins Bett zu gehen, rollte der erste seinen Schlafsack auf dem Boden aus und knackte weg. Am Morgen frühstückten sie gemeinsam – noch mal Elcheintopf, dazu Kekse und Kaffee –, und dann ging der erste wieder raus, spannte seine Hunde vor den Schlitten und winkte dem anderen zum Abschied, der in der Tür stand und ihm nachsah. Und weißt du was? Keiner von beiden hat die ganze Zeit über ein einziges Wort gesagt, weder ›Hallo‹ noch ›Wiedersehen‹, weder ›Schmeckt verdammt gut‹ noch ›Ich kann dein häßliches Pennergesicht nicht mehr sehen, du Dreckskerl‹.«
    »Lehrreiche Geschichte«, sagte sie. »Willst du mir Angst einjagen?«
    Sess wirkte überrascht. »Nein, überhaupt nicht. Warum sollte ich das denn tun?«
    »Also, Jill«, sagte sie nach einer Pause. »Sie ist also gegangen?«
    Der Ofen ächzte und zischte. Die letzte Sonne verlieh der hinteren Wand einen hauchzarten, verwaschenen Rosaton. »Was hast du denn gehört?« Die Frage blieb ihm fast in der Kehle stecken. »Daß ich so eine Art Blaubart bin, oder was?«
    Sie vertraute ihm. Sie mochte ihn. Sie könnte ihn sogar lieben – nein, sie liebte ihn, liebte ihn schon jetzt. »Nein«, sagte sie so leise, daß sie sich kaum selbst hören konnte.
    »Du weißt doch, wie ich dir vorhin den Garten gezeigt habe?«
    Sie nickte.
    »Jill ging hinaus, wo wir die Bäume gerodet hatten, und dort stampfte sie riesige Buchstaben in den Schnee, Lettern von drei Meter Höhe und zwei Meter Breite. Weißt du, was sie da schrieb – was man aus der Luft lesen konnte? JILL WILL WEG . Jill wollte hier weg. Kannst du dir vorstellen, wie mich das gedemütigt hat?« Er ging zum Ofen, um sich Kaffee nachzuschenken, und er hob sich sogar die Tasse an die Lippen, aber dann setzte er sie wieder ab. »Eine Woche danach landet eine Cessna 180 mit Kufen auf dem zugefrorenen Fluß, und wer war’s? Joe Bosky. Der Kerl klopft an die Tür und fragt: ›Habt ihr hier irgendwelche Probleme?‹«
    »Und damit war’s dann wohl aus mit Jill?«
    Er sprach jetzt ganz leise, seine Stimme hatte alle Härte verloren: »Ich hab sie danach nie wiedergesehen.«
    Die Sonne schwand von der Wand. Aus dünner Ferne drang das Heulen eines Wolfs, das in einem fieberhaften Glissando verklang, ehe die Hunde es aufnahmen. Sie sah sie draußen vorm Fenster, an den Ketten zerrend, die Schnauzen himmelwärts gerichtet, und die Laute, die sie ausstießen, waren unharmonisch und primitiv, es lag ein tiefer, unstillbarer Kummer darin, der Kummer von Pflock und Kette und Geschirr. Darauf sagte Sess etwas, aber sie hörte die Worte nicht recht, nur ihren Klang, bis er wiederholte: »Mußt du denn wirklich wieder gehen?«
    »Ich hab’s versprochen«, sagte sie.
    »Zum Teufel mit deinem Versprechen«, wandte er ein, und die Hunde jaulten dazu so klagend, daß der Wolf auf seinem Berg bestimmt grinsen mußte.
    »Howard Walpole«, begann sie, aber Sess schnitt ihr das Wort ab.
    »Howard Walpole ist Scheiße«, sagte er, »und du weißt das, und ich weiß das. Ich bin der Richtige. Sag mir, daß ich’s bin.«
    »Es sind doch nur drei Tage«, sagte sie. Er blickte sie nicht mehr an. Er sah auf die Kaffeekanne, sah auf die Wand. Die Hunde heulten. »Drei Tage, Sess. Dann weiß ich es hundertprozentig.«

9

    Wie ein Scherenschnitt vor der braunen Böschung und der Ansammlung von Hütten und Häuschen, die sich zum Uferblick auf Boynton zusammenfügten, stand Howard Walpole wie angewurzelt in Gummistiefeln und einer Arbeitshose voller Fettflecken am Wasser. Als sie um die Biegung des breiten Flusses vor der Ortschaft kamen, erwartete er sie schon, und so, wie er aussah, konnte sich Sess gut vorstellen, daß er schon stundenlang dort gewartet hatte, obwohl das Treffen für zwölf Uhr mittags ausgemacht war, und es konnte nicht viel später als Viertel nach elf oder halb zwölf sein. Es war ein ungemütlicher Tag, bedeckt und bedrückend. Der Fluß hatte die Farbe des Himmels, und der Himmel hatte die Farbe des Rostschutzvoranstrichs, wie man ihn oft auf Pickups und Kombis sieht, die dann doch ewig auf den Segen der Lackierung warten. Es nieselte. Die Luft roch

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