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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wie ein hoffnungsloser, kläglicher, unmännlicher Spinner und Voyeur. Er doch nicht. Nein, er fühlte sich eher wie – na ja, wie ein Antiterrorkämpfer, das war’s. Ein Dschungelkämpfer bei einem geheimen und lebenswichtigen Einsatz, von dem das Wohlergehen des ganzen Landes abhing, ganz zu schweigen von einem höchst speziellen Stück Land mit gepflegtem Wildgarten an der Mündung des Thirtymile River.
    Das einzige Problem: es war niemand zu Hause. Zumindest sah es so aus. Aus dem Winkel, den er sich gewählt hatte, spähte er aufwärts in das Ostfenster des vorderen Zimmers, quer durch ein seltsam leeres Stück Raum, und zu den Südfenstern hinaus. Alles war ganz still, bis auf das Zischen des Regens. Die Hunde kauerten sich an ihren Ketten zusammen, tief vergraben in den Miniatur-Blockhütten, die Howard für sie gezimmert hatte. Sess beobachtete die Fenster, und dann betrachtete er die Hundehütten, er betrachtete die finsteren, heruntergezogenen Gesichter der Hunde selbst, ein Eichhörnchen, einen Zaunkönig, und er sah zu, wie der Regen in einer endlosen grauen Abfolge einzelner Tropfen von der Dachtraufe hinunterrann.
    Wo konnten sie nur sein? Weder aus dem Ofenrohr noch aus dem Kamin rauchte es, nichts bewegte sich, kein Geräusch. Howards Boot lag am Ufer, sein Wasserflugzeug war ebenfalls da. Waren sie etwa zu Fuß unterwegs? Schliefen sie? Im Bett? Das war eine Möglichkeit, die er nicht näher erwägen wollte – er bekam Darmrumoren, wenn er sich das nur vorstellte –, doch diese Möglichkeit entwickelte sich zur Gewißheit, je später es wurde. Sie lagen miteinander im Bett. Und vögelten. Genau, das war’s. Sie vögelten miteinander, und sie hatte ihn angelogen, denn Howard Walpole war von Anfang an der Auserwählte gewesen, weil Howard Walpole Geld und Glaubwürdigkeit und Sess Harder nichts davon hatte, und ausgerechnet jetzt, als Sess zitternd und durchnäßt im Gestrüpp herumlungerte wie ein verliebter Jugendlicher, mußte Howard sein neues Spielzeug ausprobieren, seine Sahneschnitte, seine Zuckerpuppe. Hieß das nicht so in den alten Bluestexten, Zuckerpuppe ?
    Auf einmal war er fuchsteufelswild. Er mußte sich beherrschen, um nicht das Haus unter Feuer zu nehmen, die Fenster zu zerschießen und die Hunde zu Frikassee zu verarbeiten, wenn sie kläffend und verstört aus ihren Hütten kämen, und Howard Walpole in seinen speckigen langen Unterhosen und abgetragenen Pantoffeln niederzumähen. Wie hatte er sich nur auf diese Geschichte einlassen können? Eine Frau – eine gutaussehende Frau, eine richtige Wucht von Frau, mit kräftigen Händen und einem ebenso starken Kreuz –, die einen Mann per Kontaktanzeige sucht? Was war denn das für eine Welt? Und wie hatte er sich je irgend etwas anderes als Kummer und Kränkung von dieser verkorksten Geschichte erwarten können?
    Er hatte sich aufgerichtet, zu seiner vollen Größe, scheiß auf das Herumgeschleiche – er würde einfach zu diesem Blockhaus rübermarschieren, an die Tür donnern, bis ihm jemand öffnete, und eine Antwort von ihr verlangen, sofort und auf der Stelle: Er oder ich? Willst du ihn oder mich? Doch als er aus dem Gebüsch hervortrat, sah er eine kaum wahrnehmbare Bewegung durch das vordere Zimmerfenster, und ehe er nachdenken oder etwas unternehmen konnte, rissen die Hunde an ihren Ketten, Schaum auf den gebleckten Zähnen, und stießen ein gepreßtes, verschrecktes Gekläffe und Geheul aus. War das ein Gesicht am Fenster? War sie es? Oder Howard? Er ließ sich in dem verflüssigten Schlamm wieder auf Hände und Knie nieder und trat einen irrwitzigen Krabbelrückzug an, während er schon die Eingangstür in ihren rostigen Scharnieren quietschen hörte und dann Howards kräftige Stimme: »Wer ist da?«, worauf Pamela antwortete: »Wahrscheinlich nur ein Elch, sonst nichts«, und dazu sagte Howard – worauf sich das bezog, konnte Sess nur raten –: »Siehst du? Hab ich’s dir nicht gesagt?«
    Zwei Tage später, um Punkt zwölf Uhr mittags, schabte Howard Walpoles Flachkielboot über die Sandbank vor der Anlegestelle von Boynton und trieb auf der Krone des eigenen Kielwassers an Land. Sess stand in seinen Stiefeln im Schlamm, genau wie Howard vor ein paar Tagen. Er hatte nicht geschlafen. Er hatte nichts gegessen. Er war hoffnungslos und zerrupft und hohläugig wie ein Bettler auf den Straßen von Kalkutta. Als das Boot das Ufer berührte, sprang Pamela – sie trug Shorts und ein T-Shirt unter einer Baumwolljacke, dazu

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