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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den zweiten kribbelnden euphorischen Ansturm der Droge. Sie wollte keinen Streß, sie wollte weder Besitzansprüche, Eifersucht, Ärger, schlechten Sex noch schlechte Laune – sie wollte einfach loslassen und zusehen, wie sich der Tag entwickelte, eine geballte schimmernde Minute nach der anderen. Sie sah Merry an, und es kam ihr vor, als wäre Merry unter Wasser, ihr Haar schwebte in sanften Wellen dahin, auch ihr Gesicht und ihre Augen, Seetang floß mit der Strömung, sogar Seepferdchen waren dabei. »Weiß nicht recht«, hörte sie sich sagen. »Pan hat wohl einen miesen Tag erwischt.«
    In diesem Moment schob sich Lesters Gesicht in ihr Blickfeld, breites Grinsen, in den Zähnen glitzerndes Gold, seine Haut so speckig und verbraucht wie das Leder auf dem gefederten Punchingball, den Sam zu Hause in der Garage hängen hatte. Seine Augen waren riesengroß, so als wäre er sein ganzes Leben lang im Dunkeln umhergetappt – die reinsten Lemurenaugen waren das! –, und er hatte sich die Haare aufgebürstet, so daß sie ihm vom Kopf abstanden wie bei Jimi Hendrix. Bei ihm war Franklin, und sie zogen beide die Köpfe ein, als stapften sie durch einen Sturzregen. »Hey, Star, hey, Merry, was liegt an?« meinte Lester. »Wollte nur mal fragen, äh, ob ihr vielleicht etwas von dem Saft da übrig habt für zwei alte Eremiten. Und vielleicht auch ein bißchen Rührei – Rührei wär doch nett, oder, Franklin?«
    »Und wie«, sagte Franklin.
    Star brachte keine Reaktion zustande – sosehr sie es auch versuchte, sie konnte einfach nicht antworten, einstweilen ging es nicht, weder Ja noch Nein, noch Eher treffen wir uns in der Hölle, gar nichts. Null. Sky Dog hatte sich davongemacht, ebenso wie Dewey und die meisten anderen, aber Lester und Franklin waren dageblieben, obwohl alle sie behandelten wie Aussätzige. Sie waren seit Wochen nicht mehr zum Essen aufgetaucht, und man sah sie kaum jemals. Aber sie waren da, und jeder war sich dessen bewußt, auch wenn manche so taten, als wär’s nicht so. Trat man auf den Parkplatz hinaus, stand der Lincoln dort, mit Staub bedeckt, so daß er ebensogut spontan aus der Erde hätte gesprossen sein können. Spazierte man abends herum, klang die Musik vom hinteren Haus herüber, tief und dumpf und geheimnisvoll. Und hie und da blickte man von dem auf, was man gerade tat, und da saßen sie mit nacktem Oberkörper auf ihrer morschen Veranda und ließen einen Joint oder eine Zigarette oder eine Flasche Rotwein lässig hin und her wandern.
    Merry sprach als erste. »Glaub ich nicht«, sagte sie.
    Lester wandte sich zu Franklin um, als wollte er für ihn dolmetschen. »Hast du das gehört, Franklin? Die Kleine glaubt das nicht. Was sagst du dazu?«
    Franklin war einen Kopf größer als Lester. Er trug ein schwarzes Hemd mit großen gelben Punkten und breitem Kragen. Unter den Augen hatte er gewaltige Tränensäcke, als hätte er hundert Nächte am Stück durchgemacht, und seine geglätteten Haare ließ er zu rötlichen Fransen auswachsen. Er sah Lester beim Sprechen an. »Ich sag gar nichts.«
    »Also, ich sage, das ist ein Haufen rassistischer Hippie-Püppi-Scheiße«, sagte Lester und wandte sich wieder an die zwei Frauen. »Was soll das hier, sind wir Nigger nicht gut genug für euch?«
    »Scheiß auf dich, Lester«, sagte Merry laut, und jetzt wurde man an der Tür aufmerksam, Gesichter fuhren hoch, wie an einer Leine herumgerissen. Und wo war Marco? In Santa Rosa, Vorräte einkaufen mit Norm.
    Lester fand das lustig. »Scheiß? Klingt ja richtig nach Friede, Freude, Eierkuchen.«
    Erzürnt , das Wort gab es doch, oder? Star war erzürnt – erst Ronnie, und jetzt das. »Hör zu«, sagte sie und warf sich in die Bresche, »du weißt ganz genau, daß das hier nichts damit zu tun hat, ob du schwarz oder weiß bist, oder ...«
    »Rot oder gelb?«
    Irgendwie hatte sie den Pfannenheber in der Hand. Oder nein, es war der Schöpflöffel, ein ausgetrocknetes, zu oft heiß gewordenes Holzgerät, und sie schwenkte es wie ein Schaffner seine Kelle. »Norm hat gesagt ...«
    Er gab ihr den Satz zurück, aber leise, sehr leise, beinahe geflüstert: »So, Norm hat gesagt. Hör sie dir an. Norm hat einen Dreck gesagt. Norm hat gesagt, daß hier jedermann willkommen ist, und wenn ihr so auf Nigger steht, dann verratet mir doch mal, wie viele unserer Brüder ihr dahinten im Wald noch versteckt habt, nur für den Fall, daß wir eines Tages mal genug haben und uns hier verdrücken. Na? Wie viele? Zehn?

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