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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Fünfzehn?«
    Sie fühlte ihr Herz in den Schnellgang umspringen. Sie ließ den Schöpflöffel auf den Tisch fallen und trat einen Schritt zurück. »Ich werde mich nicht mit dir streiten, ich hab überhaupt keine Lust, auf deinen Trip raufzukommen, und du kannst machen, was du willst, das ist mir egal, wirklich piepegal.«
    »Und was ist mit Marco – ist dem das auch egal?«
    Und jetzt sagte sie es auch: »Scheiß auf dich, Lester. Nichts weiter: scheiß auf dich.«
    Aber Lester goß Saft ein, Lester schaufelte Rührei und Kekse auf einen Teller. Er nahm genug für drei, türmte das Essen auf, bis der Teller überlief, und reichte ihn an Franklin weiter, dann bediente er sich selbst, und keiner sagte ein Wort. Eine Schaufel Rührei, zwei, drei. Er ließ sich Zeit und zog dabei ein dünnes Lächeln, das in ihr nichts weiter als Kummer und Scham auslöste. War es echt so weit gekommen? Kämpften sie jetzt um das Essen ? Oder war das etwas anderes, etwas Häßliches, Dreckiges, das Drop City zum größten Witz der Welt machte?
    Wenn niemand wußte, was ein schlechter Trip war – das hier war ein richtig schlechter. Sie hatte sich einfach umgedreht und war aus der Küche gestürmt, durch den Versammlungsraum und zur Vordertür hinaus, kein Rührei für sie und auch kein Abwaschen mit ihren Schwestern, kein Tanzen, keine Fröhlichkeit, keine Blumen im Haar, keine Gemeinschaftsrituale im Clan, bei dem das Acid sie läuterte. Sie überquerte den hellgrauen Schotterweg zum Baumhaus, kletterte die Leiter hoch und zog sie zu sich herauf, dann streckte sie sich auf Marcos Schlafsack aus und starrte ins Laub, bis sie jedes einzelne Blatt auswendig kannte und ihr Herz allmählich zurückschaltete, durch alle Tempostufen hindurch, erst Schnellgang, dann Kriechgang, bis zum Leerlauf.
    Später – es mochten fünf Minuten vergangen sein oder fünf Stunden, sie hatte keine Ahnung – raffte sie sich auf und sah sich um. Auf der Brüstung saß eine Libelle, ein Strich aus elektrischer Farbe, wie ein eingeschlagener blauer Nagel, und darunter sah sie das Einbauregal mit den flammendbunten Rücken der Bücher, die Marco angesammelt hatte – Eldridge Cleavers Seele auf Eis , die Fiktionen von Borges, Katzenwiege, Forellenfischen in Amerika, Steppenwolf –, und eine Campinglampe, deren Kartusche so grellgrün war, daß sie geradezu ein Loch in die Wand schnitt. Die Bücher brannten von innen her. Sie zog eins heraus, wie zufällig, nur wegen der Farbe und um es zu fühlen, und sie öffnete es, sah Worte, die über die Buchseite kreuzten wie Schiffe auf einer vergifteten See. Sie konnte ihnen keinen Sinn entnehmen, wollte es gar nicht, haßte in diesem Augenblick den Grundgedanken von Büchern, von Literatur, von Geschichten – denn Geschichten waren ja unwahr, oder? –, aber die Bücher erinnerten sie an Marco, und deshalb waren sie gut und lieb und wertvoll, und sie streichelte das vertraute Objekt wie eine Katze oder ein Kaninchen, streichelte es, bis das Papier zu Pelz wurde und die lebendige Wärme ihre Fingerspitzen erfaßte.
    Leise Geräusche drangen an ihr Ohr, als wären sie aus ihrem Körper gestiegen – ein Husten, ein Kichern, ein Seufzer, das sanfte kehlige Keuchen von Jiminys Atem, der im unteren Schlafzimmer des großen Hauses rund hundert Meter weiter weg rhythmisch gegen Merrys schweißnasse Haut klatschte. Sie konnte die Blätter atmen und den Saft in den Ästen pulsieren hören wie Blut, langsames, zähflüssiges Blut. Termiten knisterten im Laub, die Hufe der Ziegen wuchsen und vergrößerten sich mit einem knackenden Geräusch, das ihr in den Ohren toste und brodelte. Dann materialisierte sich das Buch, das sie in der Hand hatte, in einem Gewirbel von Farben, Rosa und Gelb, in ein einzelnes Menschenauge, das sie aus dem Titelblatt anstarrte, und sie erkannte es sofort: Ende des Spiels und andere Erzählungen von Julio Cortázar. Auf dieses Buch hatte sie Ronnie gebracht, damals in New York, und sie hatte es ihrerseits Marco gekauft – da war auch der Stempel des Secondhand-Buchladens in Sebastopol, Freewheelin’ Books, 25 c , als verblichener rosa Abdruck auf der Innenseite. Na schön. Wenigstens hatte sie das, und obwohl die Wörter immer noch nicht mitspielten, obwohl sie sich auf der Seite gruppierten und umgruppierten, hierhin taumelten und dorthin torkelten, und obwohl jeder Mund im Wald ihr mit winzigen Stimmchen seine Botschaft ins Ohr brabbelte, bis es ein chaotisches weißes Rauschen war, kannte sie

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