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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Geschichten im Traum, träumte von Axolotln und von dem Mann, der Kaninchen spuckte, deshalb tat sie es, deshalb mußte sie alle Bücher aus dem Regal ziehen, eines nach dem anderen, und sich von den Geschichten einnehmen lassen.
    Dann stieg sie hinunter aus dem Baum, barfuß in den scharfen Blättern, sie ließ eine ganze Ladung von Büchern fallen wie eine bunte Saat, denn so hatten sie sie auch gefunden, sie und Marco, an jenem dichten, heißen, verschwitzten Nachmittag, der losging wie eine Zeitbombe, aber wo war er jetzt, da sie ihn brauchte? Er war mit Norm unterwegs, fiel ihr ein, genau. In Santa Rosa. Vorräte einkaufen. Er hatte ihr versprochen, sein LSD zur gleichen Zeit einzuwerfen wie sie, damit sie gemeinsam auf der Welle reiten könnten, und sie sah vor sich, wie er das tat, während der Wagen die Straße entlangrumpelte und Norm mit der Radiomusik mitgrölte, seine Stimme wie ein anhaltendes Kreischen aus dem Haus aller Schmerzen, aber Santa Rosa war ja nicht gerade Timbuktu, und inzwischen müßten sie doch längst zurück sein, oder nicht?
    Mit einem Fußtritt begrub sie die Bücher unter den klauenartigen Blättern. Sie hatten seine Gitarre kaputtgemacht, seine Kleider zerfetzt, die Bücher zerfleddert, und nun legte sie sie wieder zur letzten Ruhe, aber behutsam, mit angemessener Feierlichkeit und allem Respekt. Neue Bücher, mit noch grelleren Farben und wahreren Geschichten, würden dort sprießen, um die zerrissenen zu ersetzen, eine lebendige Bibliothek, die aus dem Waldboden wuchs, Bücher gratis, zur Selbstbedienung, Bücher, die sich wie Beeren pflücken ließen. Oder so ähnlich. Sie blieb noch eine Weile stehen, kämpfte um Konzentration, dann merkte sie, daß sie langsam in Richtung des großen Hauses wanderte, wo ein Knäuel von Menschen auf der Veranda hockte, wo Musik sich aus unsichtbaren Tiefen erhob, Frohsinn und Schwesterlichkeit verbreitend, aber es fühlte sich nicht gut an, noch nicht, daher schlug sie sich lieber in den Wald. Hier war sie allein – auf ihrem eigenen Trip –, und die Erde umschlang ihre Füße wie eigens angefertigte Schuhe, hallo und tschüs, hallo und tschüs , und die Bäume wichen auf dem Pfad zum Fluß hinunter vor ihr zurück wie eine Menschenmenge.
    Die Luft war dicht, die Sonne marterte das Wasser. Vögel stürzten wie Meteore aus dem Himmel herab. Sie saß am Ufer und lauschte dem Gemurmel der Strömung, tauchte die Finger ein und die Füße, und irgendwie fühlte sie sich immer noch nicht okay. Es war, als wäre sie außer Atem, genau, als hätte sie eine Überdosis Espresso intus oder eine weiße Speedpille zuviel genommen in einer dahinsausenden langen Nacht hinter dem Lenkrad, in der sich irgendwann aus dem öden Land die Rockies schälen und aufragen würden wie eine graue undurchdringliche Mauer, die ganze Armeen stoppen könnte. Hatte sie Angst? Doch, schon. Angst vor nichts und vor allem, vor Dingen, die nicht da waren, und Dingen, die knapp außerhalb ihres Sichtbereichs mutierten und die Form wechselten. Sie schloß die Augen, und auf der dunklen Bühne ihrer Lider sah sie Bilder einen dahinwirbelnden Tanz vollführen, den sie weder verlangsamen noch beenden konnte.
    An dem Tag, als sie ihm seine Sachen demoliert hatten, war sie mit Marco zusammengewesen – auf dem Gelände hinter dem großen Haus, wo er die Rohre für das Rieselfeld verlegte. Sie war mit einem Krug voll Kool-Aid-Limo zu ihm gekommen, barfuß, in Shorts und der Bauernbluse mit aufgestickten blauen Quetzal-Vögeln, die sie mal in einem Secondhandshop in Mexiko aufgetrieben hatte – bei der Erinnerung an diese Bluse mußte sie sogar jetzt lächeln –, und hatte zugesehen, wie seine Rückenmuskeln spielten, wenn er sich bückte, um eine Schaufel mit Kies in den Graben zu werfen. Er sagte ihr, daß sie schön war. Sie sagte, er sei auch schön. »Da sind wir wohl eine Gesellschaft zur wechselseitigen Bewunderung«, sagte er und verteilte Kies. Es war noch eine zweite Schaufel da, die aus einem Haufen mit losen Steinen ragte wie ein Geschenk der Natur. »Soll ich dir helfen?« fragte sie und zog die Schaufel aus dem Kies, was ein Geräusch wie Zähneknirschen erzeugte, dann stellte sie sich in Positur für ihn: ein nackter Fuß ruhte auf dem Rand des Schaufelblatts, beide Arme packten den Stiel.
    »Barfuß?« gab er zurück, richtete sich auf und wischte sich mit einem zusammengerollten gemusterten Halstuch, das als Stirnband diente, über das Gesicht. »Scheinst ja eine

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