Grün war die Hoffnung
fürs Frühstück aufgedeckt, ein Kalender an der Wand. Der Kühlschrank schaltete sich brummend ein, dann wurde er plötzlich wieder still, und niemand bemerkte es, nicht mal der Hund.
»Ach, egal«, sagte sie. »Ist nicht so wichtig.«
Nach zwei Uhr nachts erreichten sie die kanadische Grenze. Star schlief, hatte sich in einer der Bettenkojen eingerollt, und sie fühlte den Bus unter sich beben, als wäre die ganze Welt in Bewegung, dann aber ruckte er kurz und kam zum Stillstand, und schon war sie wach. Sie standen am Straßenrand unter einem Schild mit der Aufschrift Internationale Grenze 3 km. Norm ging den Mittelgang entlang und weckte die Schläfer auf. »Wir sind an der Grenze, Leute, kommt schon, alles aufwachen!« sagte er, sein Gesicht war eine bleiche Birne in der Dunkelheit, die Schultern hingen herunter und die Arme baumelten haltlos, als hätte er die Kontrolle über sie verloren. Das war es also. Das war der große Augenblick. Wenn sie es nicht nach Kanada hinein schafften, dann würden sie nicht nach Alaska kommen, und Drop City war tot.
Marco lag in der Koje unter ihr und fuhr beim Erwachen heftig zusammen. Sie griff mit der Hand nach unten und schob den Kopf über den Rand, um ihn sehen zu können. Er starrte ins Leere, der feuchte Glanz seiner Augen reflektierte gerade genug Licht, um ihr zu zeigen, daß sie geöffnet waren. »Hallo«, sagte sie, »wir sind da. Zeit zum Aufwachen.«
»Scheiße«, sagte er und schob ihre Hand beiseite. »Schon?« In einer einzigen Bewegung glitt er aus dem Bett, dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar und stopfte das Hemd in die Hose. Überall schlurften jetzt Leute herum wie die Zombies, rempelten einander an, fluchten leise. Die Hunde begannen zu winseln. Jemand nieste. »Wo ist Ronnie?« fragte Marco, und seine Stimme hatte einen seltsamen Unterton, den Star nicht an ihm kannte. »Wo ist Pan? Ist er im Bus?«
Die letzten zwei Tage hatte Marco pausenlos über die Grenze geredet, die Grenze dies und die Grenze das, und daß er sich vielleicht im Kofferraum des Studebaker hinüberschmuggeln lassen sollte oder einfach einen Waldweg suchen, auf dem er so leicht von einem Land ins andere gehen konnte wie er den Bus durchquerte. Star hatte ihm das mit dem Kofferraum auszureden versucht, denn wenn sie ihn öffneten – und wieso sollten sie das nicht tun? –, hätten sie ihn kalt erwischt, andererseits waren sie dreißig Leute im Bus, ganz zu schweigen von zwei Hunden und einer Katze, und die Gefahr, daß sie alle genau checken würden, war doch gering. Schon gar nicht mitten in der Nacht.
»Du brauchst Ronnie nicht«, sagte sie. »Sitz einfach ganz ruhig da. Es wird schon gutgehen«, versicherte sie ihm, und dann sagte sie es noch einmal, als könnten die Worte es Wirklichkeit werden lassen.
»Also schön«, sagte Norm inzwischen, und jetzt redete er wieder in seiner üblichen Lautstärke, auf halbem Wege zwischen Rufen und Gebrüll, »also schön, hört mal alle her. Die Grenze liegt drei Kilometer vor uns, und wir werden da richtig lässig durchrauschen, ohne Generve, ohne Probleme. Wißt ihr, was wir sind? Wir alle? Wir sind eine Rock-Band.«
Der irre George stöhnte laut auf.
»Nein, echt. Und wir haben eine Tournee mit Konzerten in Fairbanks und Anchorage, und wo noch? Weiß nicht, Sitka? Ihr Typen mit Gitarren, nehmt sie raus, und dann macht mal ’ne kleine Session, und ein bißchen Gesang wär auch nicht übel, versteht ihr? Kapiert ihr, was ich da sage?«
Es war halb drei. Sie standen vor der kanadischen Grenze. Keinem war nach Singen zumute.
»Also gut. Das Reden übernehme ich. Und ihr Frauen – kommt schon, ihr Bräute, ihr Wunder von Drop City –, seht mal ein bißchen sexy aus, okay? Ihr seid der Backup-Chor.«
Das brachte ihm einen Lacher ein, und man spürte, wie die Spannung verflog. Die Leute begannen zu plaudern, der Typ – der Freak –, den sie alle Deuce nannten, holte seine Mundharmonika hervor und blies einen langsamen Blues, bald danach fiel Geoffrey auf der Gitarre ein, und zwei der Frauen hinten im Bus, Erika und Dunphy, legten mit ein paar vermischten Versen von »Love in Vain« los. Norm schob seine eingezogenen Schultern wieder nach vorn, wo Premstar auf dem Fahrersitz thronte wie ein Geschenk, das er noch nicht ausgewickelt hatte. Marco warf Star einen Blick zu und ging ihm nach. »Norm«, rief er, »hör mal, Norm – ich muß ’ne Sekunde mit dir reden.« Star stieg aus der Koje, weil sie plötzlich Angst hatte,
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