Grün war die Hoffnung
Denn das muß ich. Aber wir haben auf unserem Bus drei Kanus« – hier wandte Sess den Kopf und betrachtete den großen gelben Kasten auf Rädern, wobei er mitten in die knochigen, schlitzäugigen Gesichter von zwei Ziegen starrte, die ihrerseits als Vorlage für Cartoonfiguren hätten dienen können –, »und ich hab mit diesem Buschpiloten ausgemacht – Joe Bosky, kennst du den? –, daß er unsere Leute samt Proviant in drei Ladungen rüberbefördert, darunter auch das Werkzeug und was eben so der Grundbedarf ist, denn diese Leute da, also meine Brüder und Schwestern, die müssen das ja erst mal alles schnallen , verstehst du mich? Ich meine, die glauben vielleicht noch, das wird hier ein Zuckerschlecken, aber ich weiß es besser ...«
Der Neffe redete noch eine Zeitlang weiter, und Sess und Pamela blieben vor ihm stehen, als wären sie in einem Hörsaal, nur daß sie ständig nach Moskitos schlugen und an ihren Bierflaschen nuckelten, während die abgehackte, blecherne Musik auf sie herabregnete und die magere Blondine mit dem rosa Lippenstift über sie herfiel, dem Neffen die Arme um den Hals schlang und sich an ihm festhielt, als wäre er eine Boje im Strudel dunkler Gewässer. »Also, was ich mir gerade gedacht hab«, sagte der Neffe mit einem gewissen Abschiedstonfall in der Stimme, »vielleicht sollten wir irgendwo am Flußufer eine Rast einlegen und heute nacht campieren, oder vielleicht gleich ein paar Nächte ...«
Campieren, wo denn? wollte Sess ihn gerade fragen, denn es gab keinen einzigen Quadratmeter freies Gelände am Flußufer, das nicht seit langem irgendwem gehörte. In ganz Boynton konnte man Grundstücke weder kaufen, erbetteln noch stehlen, seit die Bundesregierung mit dem Gesetz über die Landansprüche der Ureinwohner angefangen hatte, und sobald man sich über die Stadtgrenze begab, stand man bereits auf bundeseigenem Land – und Wetzel Setzler, der nebenbei auch für die Forstbehörde den Heini vor Ort mimte, konnte bei diesem Thema ziemlich fuchsig werden. Außerdem würde ein Haufen Langhaariger in bunten Klamotten nicht gerade den wärmsten Empfang erhalten, ganz egal, auf wessen Eigentum sie sich breitmachen wollten, und dann hatten sie sich auch noch mit Joe Bosky eingelassen, dem übelsten Abschaum am gesamten Fluß, was ein absoluter Minuspunkt war – wie man die Sache auch betrachtete, es sah nicht gut für sie aus.
Der Neffe schlürfte sein Bier und grinste ihn an. Insekten umschwärmten die Dornenkrone seiner ungepflegten Frisur, und er wirkte so hilflos wie frisch aus dem Ei geschlüpft. »Also, was sagst du, Bruder?« wollte er wissen. »Bist du dabei?«
Sess sah kurz zu Pamela. Sie warf ihm einen Blick zu, der besagte: Brechen wir endlich auf, packen wir das Kanu , und sie hatte ja recht: sie mußten den Fluß hinauf, mußten Lachse fangen und einlegen, wenn sie im Winter Fisch essen wollten, es galt den Gemüsegarten zu pflegen, Holz zu sammeln, den Anbau zu errichten und mit einem Ofen auszustatten – und nicht zu vergessen die kleinen Tischchen. Trotzdem, rief sich Sess ins Gedächtnis, das hier war Roy Senders Fleisch und Blut, dieser Kerl mit Bart und Sandalen wie ein verlorener Prophet, und das mußte doch etwas bedeuten, und wenn’s nur Roy zuliebe wäre. Ehe er nachdenken konnte, hörte Sess seine eigene Stimme, in der das viele Bier und der süße Hippiewein auf ganz eigenen Strömungen unterwegs waren und ihm in den Ohren tönten: »Wieso campt ihr nicht bei meiner Baracke am Wasser?«
Teil V
DROP CITY NORD
Hey, Bungalow Bill,
What did you kill?
John Lennon/Paul McCartney:
»The Continuing Story of Bungalow Bill«
22
So wie Jiminy herumhumpelte, den Arm in einer verschmutzten Schlinge, sah er aus, als wäre ein Baum auf ihn herabgestürzt, aber es war kein Baum gewesen, und die Schlinge bestand aus zwei zerschlissenen Baumwollstreifen, die früher mal als Ärmel eines College-Sweatshirts gedient hatten, denn wer brauchte schon Ärmel, wenn die Sonne vierundzwanzig Stunden am Tag schien? War der Arm gebrochen? Nein. Bist du sicher? Aber klar doch, Alter, logisch – ich würd’s wissen , wenn er gebrochen wäre. Also, was ist dann dein Problem? Eine Zerrung, nichts weiter, Mann. Nur eine Zerrung.
Nicht daß Pan ihn als Drückeberger bezeichnet hätte, obwohl jeder andere halbwegs arbeitsfähige Freak in Rufweite längst sechstausend Bäume pro Tag fällte und Alfredo seine Befehle über den ganzen Platz bellte wie das bescheuerte Arschgesicht von
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