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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Fleischesser – die übrigens mit jedem Tag mehr wurden – brachte er Enten, Wildgänse, Schneehühner und sogar zwei klatschnasse Bisamratten, die außer ihm und Norm keiner probieren wollte: das Fleisch war dunkel und tranig, mit einem dezenten Nachgeschmack nach toten Insekten und verrottetem Laub. Was das Boot anging, so besaß er jede Priorität, wenn er es benutzen wollte – Vollmacht, Pan hat alle Vollmachten dafür , das hatte Alfredo bei einer dieser quälendlangen Besprechungen gesagt, die sie jetzt offenbar jeden zweiten Tag abhielten –, weil er der designierte Angler und Jäger der Sippe war, während Marco und Bill und Norm und die übrigen Vollzeitarchitekten und Statiker spielten, zumindest einstweilen.
    »Nun laß mich schon!« ließ Merry hören, und sie war bereit zu schluchzen, der Kummer preßte ihre Worte zusammen und dämpfte die Konsonanten wie ein Schnupfen. »Mehr verlang ich doch gar nicht, und du bist echt ein egoistisches kleines Arschloch, weißt du das? Hä, Jiminy? Das bist du. Ich bin dir völlig egal. Du kümmerst dich nur um dich selbst.«
    Ronnie saß in einem Farbtupfer von zarten Wildblumen und grobkörnigem Sand am Flußufer, das die Sonnenwärme einfing und an seine Beine und die harten, abgekämpften Fußsohlen weitergab. Er blieb völlig entspannt, verspürte den Frieden, der einen umfängt, wenn man sich nach einem harten Arbeitstag im Freien und einer doppelten Portion Lachseintopf was zum Kiffen reingezogen hat, und er beobachtete Jiminy, wie er Merry umtanzte, als wäre er Zeus hoch droben auf dem Olymp. Das Boot schaukelte im Wasser. Die Strömung zerrte an ihm. Die beiden rangelten um eine bessere Position auf dem großen Baumstamm, der als eine Art Allzweckpier und Kanusteg diente. Mendocino Bill schrie durch das Sprotzen und Knattern des Motors: »Jetzt kommt schon, Teufel noch mal – man könnte ja meinen, ihr wärt zwei Sechsjährige, alle beide!«
    Dann schubste Jiminy sie, und sie schubste zurück, und auf einmal fuchtelte er mit den Armen und sah ganz klein und verlegen aus, und im nächsten Augenblick verlor er die Balance und landete tölpelhaft im Boot, was alle anderen in den Thirtymile plumpsen ließ. Die Bräute schossen gleich wieder aus dem Wasser wie die Raketen – weil es nämlich eiskalt war, kälter als irgendwer in Kalifornien sich je hätte vorstellen können –, und auch Mendocino Bill keuchte und prustete und kam fluchend hoch, mit pitschnassem Bart und einer deutlich sichtbaren Glatze, während der irre George Wasser trat wie ein menschlicher Quirl und auf den glitschigen, herumkollernden Steinen des Flußbetts Halt zu finden versuchte. Merry duckte sich vor dem Gespritze, ihre nackten Zehen gruben sich wie Finger in das Holz, als der Baumstamm schwankte und kippte, dann drehte sie der Szene einfach den Rücken, tat einen beherzten Sprung ans Ufer und stolzierte davon. Ohne Entschuldigung.
    Aber Jiminy. Als er aus dem Wasser kam, hielt er den Arm steif, und nach dem ersten Schock mußte er ihn sich von Reba verbinden lassen und von ihr hören, daß er wahrscheinlich nicht gebrochen war. Eine scheußliche Tortur, denn Reba konnte kaum einen Oberarmknochen vom Oberschenkelknochen unterscheiden, galt aber als die medizinische Koryphäe von Drop City, nur weil sie mal eine Krankenschwesternausbildung nach einem Jahr abgebrochen hatte. Aber sie jonglierte mit Fachausdrücken à la Spekulum oder Zungenspatel wie ein Profi herum. Wenn irgendwer mit irgendwas darniederlag, klappte sie gleich ihre kleine Arzttasche aus schwarzem Leder auf, die Pan eines Tages ein wenig durchstöbert hatte, als sie flußabwärts gefahren war – dies in der Hoffnung, etwas Interessantes zu finden, was sie nicht weiter vermissen würde, Morphium zum Beispiel. Oder ein ordentliches Barbiturat. Aber sie enthielt nur die Grundausstattung: Nadel und Faden für Wundnähte, Jod, Gaze, ein griffiges Rektalthermometer. Und deshalb war Jiminy kein Drückeberger, absolut nicht. Vermutlich hätte es niemanden überrascht, wenn sein Arm tatsächlich an etwa achtzehn Stellen gebrochen wäre, nachdem Reba mit ihrer Behandlung fertig war.
    Eigentlich sorgte sich Ronnie mehr um den Außenbordmotor: ob der mit vollgesoffenen Zündkerzen und Wasser in der Benzinleitung überhaupt starten würde, und was sich unternehmen ließe, wenn er es nicht tat. Jiminys Arm würde irgendwann verheilt sein, aber dieser Johnson-Außenborder war der Schlüssel zum Überleben von Drop City Nord, das

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