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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Bierglas herumfuchtelte und irgend etwas deklamierte, dann gab die Frau ihren Senf dazu – all das erreichte Sess nur als Pantomime –, und Pamela quasselte gleich von neuem auf sie ein. Inzwischen hatten die Hippies kapiert und fütterten die Musicbox mit Vierteldollars, und als einzigen Song spielten sie immer wieder – quasi als die Hymne der Nacht – »Mystic Eyes«. Es war ein Dauerwitz. Zum Schießen. Fünfzehn-, zwanzig-, fünfundzwanzigmal. Sie tanzten und stampften und kippten sich alles hinter die Binde, was sie in die Finger bekamen, ob Bier oder Pfefferminzlikör. Alles lärmte und wirbelte durcheinander, die bunten Hemden und Jacken der Tänzer und die flatternden Hosenbeine. We went walkin’ / Down by / The old graveyard/ I looked at you ...
    Sess wollte dem jungen Burschen gerade antworten – er hatte vor, ihm zu sagen, daß momentan die Saison für Fisch, nicht für Fleisch war und daß der durchschnittliche Elch jedes Blockhaus am Fluß um einiges überragte, deshalb könnte ein verschwiemelter kalifornischer Hippie ohne Kinn und Mumm in den Knochen damit möglicherweise etwas überfordert sein –, aber er bekam keine Gelegenheit dazu, und hier war Lynette der entscheidende Faktor. Sie tauchte hinter dem Tresen auf wie der Schatten eines Raubtiers und riß das Stromkabel aus der Steckdose. Die Musik verstummte. Alles erstarrte.
    »Ich will, daß ihr hier verschwindet!« kreischte Lynette mit gepreßter Falsettstimme, als wollte sie den Song auf eine höhere Ebene und vielleicht noch weiter befördern. »Ihr alle – raus hier! – sofort! Wenn ihr denkt, ich hör mir diese beschissene Rockmusik noch ein einziges Mal an, dann müßt ihr total bekloppt sein. Also, raus jetzt! Allesamt! Die Kneipe ist geschlossen .«
    Von draußen, vom moskitoumschwärmten Parkplatz, ertönte das Schrummeln der Hippiegitarren nach dem plötzlichen Verstummen der Musicbox nur um so deutlicher. Es war eine melancholische, kontemplative Musik, jede Note klang wie aus einer Ritze gefischt und von allen Seiten her betrachtet, ehe die nächste hergenommen wurde, und dann die danach. Sess stand in der Menge, und dann bewegte er sich auf die Tür zu, in Richtung der traurig funkelnden Verheißung der Musik. Er trank sein Bier aus und spürte Pamela an seiner Seite. Dann standen sie draußen in der Luft, die einen süßen Uferduft mit sich trug, den Geruch des Flusses, der sich mit frischem Schmelzwasser füllte, und die Hippies tanzten wie Menschen auf dem Mond zum drogengeschwängerten Schildkrötentakt ihrer Musik. Lucius war auch da und schnüffelte an Sess’ Hand, und ihm wurde klar, daß der Hund noch kein einziges Mal gefüttert worden war, seit sie ihn vom Tierheim abgeholt hatten, und das war ein Versäumnis, allerdings. »Komm jetzt, Sess«, sagte Pamela und zerrte ihn zur Ecke der Veranda hinüber, wo sie ihre Rucksäcke abgelegt hatten, voller Marshmallows, Dillgurken, Käsereiben und all dem Plunder, ohne den sie anscheinend nicht leben konnten. »Zeit zum Aufbrechen. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns. Der Garten, weißt du noch? Und die vielen Baumstämme zum Entrinden? Und die Lachse im Fluß?«
    In diesem Moment fing er den Blick der Frau auf, die von seinem Bier getrunken hatte – Lydia –, und sie betrachtete ihn lange und abschätzend aus Augen in der Farbe von Lupinen. Wer sie auch geschaffen haben mochte, wer die entsprechenden Gene aus dem elterlichen Hut gezogen hatte, der war kein Geizhals gewesen, dachte er bei sich. Dann aber hakte sich die Brünette in der Cowboyaufmachung bei Lydia ein, und sie wandte ihm den Rücken zu, um mit einem schlangengleichen Tanz loszulegen – ebensogut hätte sie ihm heißes Öl in die Hose schütten können.
    »Hallo, Sess, ich bin’s. Erinnert du dich noch an deine Frau?«
    Er blinzelte zweimal und grinste.
    »Na, genießt du die Aussicht?«
    »Die vergeuden wirklich nicht allzuviel Geld für Unterwäsche, was?«
    Sie schlang ihm den Arm um die Hüfte. Die Töne zerteilten sich und platzten wie kleine Bläschen aus Aluminium oder aus Zinn, harte metallische Bläschen, die eine Maschine irgendwo weit hinten im Hippieland erzeugte und die nun aus den Hippielautsprechern dröhnten. Was das war? Wie würden die dazu sagen? Abgefahren. Es war ausgeflippt. Skid Denton kam gerade zur Tür heraus, an jeder Seite ein sanftmütiges Mädchen, auf die er im Affentempo auf französisch einredete. »Nein«, sagte Pamela und drückte sich an ihn, und sie fühlte sich

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