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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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komm raus kochen – die Viecher sind noch stärker mit Trichinen verseucht als Schweine.«
    Das wußte sie, wußte es von vor zwanzig Jahren, aber sie sagte nichts. Der Bär war geviertelt, die Stücke hingen von den Latten der Vorratskammer, die Leber hatten sie am Vorabend mit Zwiebeln gebraten verspeist, und das im Sommer angefressene Fett, dicke weißlichgelbe Klumpen, war bereits ausgelassen und zum Auskühlen und Festwerden in Kaffeedosen verstaut.
    »Und dann könntest du«, fügte er hinzu, und das war das letzte, was er zu ihr sagte, »vielleicht könntest du dir mal den Pelz vornehmen – schab ihn auf der Unterseite gut ab, dann ein bißchen spannen und zum Trocknen aufhängen.«
    Später, nachdem sie sich ein Sandwich zubereitet und genug Kaffee getrunken hatte, daß sämtliche Nervenenden unter Strom standen, zerrte sie die Bärenhaut in die Sonne zum Picknicktisch hinüber und schabte mit dem Ulu , das ihr Sess zum Geburtstag geschenkt hatte, das Fleisch von der Lederhaut herunter. Das Ulumesser war ein Werkzeug der Inuit mit halbmondförmiger Klinge und beinernem Griff, ideal zum Abschaben von Pelzen, eine Tätigkeit, die sie in den Wintermonaten vermutlich regelmäßig ausüben würde, wenn ihr Mann die steifgefrorenen Kadaver heimbrachte. Und was empfand sie dabei – wie fühlte sie sich vor dieser stinkenden, floh- und zeckenverseuchten Tierhaut unter ihrem Messer, hier und jetzt, inmitten eines wahren Fliegenhurrikans, im Angesicht von lauter Blut und Schmer, das ihr unter den Nägeln klebte und bis in die letzte Hautfurche ihrer Hände kroch, so daß sie den Gestank nie wieder rauskriegen würde? Sie fühlte sich zufrieden. Oder nein: sie war verwirrt. Denn seit ihrer Hochzeit ließ er sie zum erstenmal allein, es war das erste von Hunderten von künftigen Malen und noch Hunderten danach, und er verlangte von ihr schlicht und einfach, daß sie dasaß und auf ihn wartete, und außerdem hatte sie verdammt noch mal dafür zu sorgen, daß der Fleischtopf auf dem Ofen stand und das Fell sauber abgeschabt war, wenn er zurückkam. Sie erschlug einen Moskito auf dem Oberarm, was einen Abdruck ihrer mit Bärenblut befleckten Hand hinterließ. Sie wedelte sich die Fliegen aus dem Gesicht. War es wirklich das, was sie wollte?
    Das Ulu kratzte, die Fliegen stoben auf und ließen sich nieder. Sonst gab es keinen Laut auf dieser Welt. Sie bearbeitete die Bärenhaut aus reiner Trägheit, weil sie nichts Besseres zu tun hatte, schabte wie in Trance, und erst als das Kanu am Horizont auftauchte, kam sie wieder zu sich. Sie sah es schon aus einem knappen Kilometer Entfernung, weil sie das fasrige rote Fleisch und die weißen Sehnen der Haut nur eine gewisse Zeit betrachten konnte, ehe sie den Blick in die Unendlichkeit heben mußte und sich davonträumte, und da war dieser Aluminiumpfeil, der im gleißenden Sonnenlicht auf der Strömung dahinhüpfte, mit zwei Menschen darin – zwei Frauen –, die sich in die Paddel stemmten. Pamela wischte sich die Hände an einem dreckigen Lappen ab, versuchte irgendwie, ihr Haar in Ordnung zu bringen. Es war Star – das konnte sie jetzt sehen –, Star mit Merry, beide trugen Umhänge und breitkrempige Wildlederhüte, und sie manövrierten das verbeulte silberfarbene Kanu durchs Wasser, als hätten sie das schon ihr halbes Leben lang getan. Sie sah zu, wie sie die Kurve zum Ufer nahmen, dann hob sie die Hand zum Gruß und ging ihnen entgegen.
    Star trällerte ihren Namen, als der Kanu knirschend auf den Kies fuhr und Merry hinaussprang, um es festzumachen. »Wir dachten, wir kommen mal rüber und versüßen dir den Tag – klingt doch nett, oder?« rief Star hinüber, kletterte aus dem Kanu und schwenkte eine große Weinflasche wie eine Trophäe. »Die Mädchen machen einen drauf!«
    Sess war weg. Das Bärenfell war ein zusammensackendes, stinkendes und schmieriges Gewirr aus rohem Fleisch und Insekten, und im Blockhaus herrschte ein Gestank wie im Schlachthaus. Der Winter lauerte gleich um die Ecke – es waren gerade mal zwölf Grad in der Sonne –, und sie war voll des Selbstmitleids, hatte gerade begonnen, sich elend und ausgeschlossen zu fühlen, da kamen zu ihrer Rettung diese zwei Freundinnen. Sie nahm die Flasche aus Stars Händen entgegen, schraubte den Verschluß ab, führte sie an die Lippen, und es war, als würde der süße Geschmack direkt in die Adern fließen. Arm in Arm in Arm stapften sie dann zu dritt die Böschung hinauf. »Ich kann euch gar nicht sagen,

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