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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wie froh ich über euren Besuch bin«, sagte Pamela.
    Als sie den Picknicktisch erreichten, blieb Merry wie angewurzelt stehen. »Mein Gott, was ist denn das?« fragte sie. »Ist das ein Bär? Ein Grizzlybär?« Merry war immer leicht weggetreten, sie hatte etwas von einem naiven Kinderstar an sich, und sie wirkte hier in der freien Natur unsagbar verloren und fehl am Platz. Jeder verrückte Kauz, Nordland-Schlauberger und Freizeitjäger im Three Pup hatte ihr die üblichen Horrorgeschichten über Grizzlys eingeflüstert – wie sie Sexualpheromone und menstruierende Frauen meilenweit riechen konnten, wie stark und unerschrocken sie waren, wie zerfetzte Leichen ihren Weg pflasterten –, und jetzt schrak sie vom Tisch zurück, als könnte das Fell wieder zum Leben erwachen und sie in eine mörderische Umarmung schließen.
    »Das ist ein Schwarzbär. Ein Weibchen. Sess hat sie gestern abend hier im Garten erwischt.«
    »Wow. Ist ja irre. Und was machst du jetzt daraus, ein Bärenfell als Teppich?«
    »Klar, was denkst du denn?« bemerkte Star und goß sich auch einen Schluck hinter die Binde. Pamela und Merry sahen ihr zu, sahen etwas verschütteten Wein in blutroten Bahnen ihren Arm hinunterlaufen. Star wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und hielt Pamela die Flasche hin. »Vielleicht sollten wir uns ein paar Becher besorgen und die Sache etwas damenhafter angehen«, sagte sie, und alle drei brachen in Gelächter aus.
    »Ein Bärenfell«, sinnierte Merry, »das ist echt cool, ich meine, vor allem hier im Norden – aber was ist mit dem Rest, also mit dem ganzen Tier, das gestern noch da draußen im Wald gelebt und niemandem was getan hat? Was macht ihr damit?«
    »Sie essen es auf«, sagte Star.
    »Nicht doch!« rief Merry, und ihr Blick wechselte zwischen Star und Pamela hin und her.
    »Stimmt’s, Pamela?«
    Sie nickte nur, weil sie gerade wieder versuchte, die unhandlich große Weinflasche zum Mund zu führen, und was sie dabei empfand, das war ein Gefühl wie: zum Teufel damit, zum Teufel mit allem, mal echt.
    Die Fliegen saßen inzwischen zu Hunderten auf dem rohen Fleisch an der Innenseite des Fells, aber die würden auch bald alle tot sein, der Winter konnte sie jeden Tag umbringen, und die Moskitos, die einem von früh bis spät im Minutentakt nach dem Blut trachteten, die würden mit ihnen verschwinden. Merry wiegte sich leicht hin und her, zog sich die Hutkrempe ins Gesicht und nahm dafür die übergroßen rosa Scheiben ihrer Sonnenbrille ab, um Pamela besser ansehen zu können. »Du meinst, das stimmt ehrlich? Ihr – also ich meine, die Menschen hier –, ihr eßt tatsächlich Bären ? So was wie Pu der Bär? Meister Petz? Yogi Bär? Smokey the Bear? Verhütet Waldbrände?« Sie kicherte. »Nein, ihr bindet mir einen Bären auf. Komm schon, sag mir, daß es nur Spaß ist.«
    Pamela spürte, wie der Wein durch ihre Adern brauste. Sie wollte das hier nicht, hatte es nicht nötig – sie wollte einfach nur loslassen. Daher zuckte sie die Achseln. »Also«, sagte sie, »ich hol uns jetzt mal Becher«, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. Die beiden Hippiefrauen sahen sie unverwandt an. »Na schön, ja«, sagte sie seufzend. »Ja, wir essen Bären, genau wie alles andere, was wir hier vor die Flinte kriegen: Elche, Kaninchen, Enten, Fische, Luchse – schmecken besser als Kalbfleisch, sagt Sess –, sogar Stachelschweine und Bisamratten, und auch wenn ihr’s mir nicht glaubt, ich schwöre, daß Bisamratte zarter und saftiger ist als jedes andere Fleisch ...«
    Merry musterte sie mit unverblümtem Entsetzen. »Aber ein anderes Lebewesen einfach zu töten, eine lebendige Seele, die mitten auf ihrem karmischen Weg ins Nirwana ist« – hier hielt sie kurz inne, um mit geschicktem Schlag eine Mücke auf ihrem Handgelenk zu zerquetschen –, »das könnte ich niemals tun.«
    »Hast du aber eben.«
    »Was? Ach das. Na schön, ich bin sogar deiner Meinung: ich hätte das nicht tun sollen, und ich wünschte auch, ich müßte es nicht – kann’s schon gar nicht mehr erwarten, bis es Winter wird und Mutter Erde sie alle zur Ruhe bettet, ehrlich! –, aber Insekten sind eine Sache, und ich weiß schon, im Dschainismus haben sie auch vor denen Achtung, trotzdem ist so was wie ein Bär doch etwas ganz anderes. Die sind doch beinahe menschlich, oder nicht?«
    Pamela dachte eine Weile darüber nach, hinter ihr surrten die Fliegen, das Fleisch hing in der dunklen Kammer, und die weißlichgelben Klumpen Fett

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