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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein verhängnisvolles Omen, dann aber hatte sie die Eingangstür erreicht, der Himmel schnappte wieder auf, und der Donner begann zu grollen.
    Drinnen war alles vertraut, alles war in Ordnung. Hier gab es Routine, Richtlinien, an die man sich halten konnte, und die hatten nichts zu tun mit abgeschabten Fellen oder Hippiedrogen oder dem auseinanderfallenden Himmel. Sie schürte das Feuer. Zündete sich eine Zigarette an. Goß frisches Wasser in den heruntergekochten Fleischtopf und würfelte Gemüse auf dem Schneidbrett. Ein Blitz erhellte den Raum, und der Regen fegte aus den Wäldern heran und ließ den Staub vor dem Haus mit heftigen Nadelstichen aufstieben. Star hatte den Grasjoint so lässig angezündet wie eine Zigarette und an Merry weitergereicht, die den feinen, blassen Qualm eingezogen hatte, der nach Duftkerzen roch, nach Weihrauch und, wie hieß es noch – nach Myrrhe –, und dann hielt Merry ihr das Ding hin. Sie hob es an die Lippen, inhalierte, und es war nichts anders als eine Marlboro, außer daß es nach nichts schmeckte. »Weißt du was?« sagte Star. »Du hast keine Ahnung, was Vögeln heißt, wenn du es nicht schon mal damit gemacht hast. Ehrlich. Es ist, als ob alle Nervenenden zugleich schmurgeln, und deine Haut, deine Haut brennt einfach darauf, von einem Mann berührt zu werden.«
    Irgendwann ging sie hinaus in den Regen und holte den Rum und die Becher und den Ascher mit dem nassen Marihuanastummel herein, und irgendwann legte sie den Joint zum Trocknen auf den Ofen und schöpfte sich einen Napf mit Bäreneintopf. Sie hatte Hunger, mehr Hunger, als sie je im Leben gehabt hatte. Sie nahm sich einen zweiten Napf. Einen dritten. Sie tupfte die Brühe mit Brot auf, goß sich eine Tasse Kaffee ein. Der Regen fiel beständig, sie legte Feuerholz nach und ließ den allerersten Stich von Sorge um Sess in ihrem Denken zu, verbannte ihn dann aber wieder – er konnte für sich selbst sorgen; das war nicht schlimm, nur ein Regen. Später starrte sie in eine Zeitschrift, und noch etwas später ging sie zum Ofen, nahm den getrockneten Stummel des Joints und rauchte ihn bis zum Ende, bis auf einen dünnen Rest speichelgelben Papiers, den sie ins Feuer warf, um Beweismittel zu vernichten.
    Es war schon dunkel, als Sess zurückkam, und obwohl er nach Hund und der Nässe der Wälder roch, obwohl es im Haus ebenfalls stank, nach gekochtem Bärenfleisch und zerlassenem Bärenfett und dem ersten Tod einer unendlichen Reihe von künftigen Toden, riß sie ihm ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Leib, zog ihn ins Bett und schmolz unter dem Gewicht seines warmen Körpers dahin.

26

    Sess Harder hätte es nie im Leben zugegeben, am wenigsten vor sich selbst, aber seine Hände waren kalt, und wenn seine kalt waren, dann mußten Pamelas eiskalt sein. Sie trugen beide Thermounterwäsche, dicke Pullover und darüber die Flanellhemden mit dem schwarz-roten Karomuster, die ihnen Pamelas Schwester zur Hochzeit geschenkt hatte, aber die Handschuhe steckten in ihren Brusttaschen, warm und trocken. Er wußte nicht, wie spät es war – das wußte er nie –, nahm aber an, daß es gerade mal neun Uhr sein konnte. Das Thermometer war um minus zehn Grad steckengeblieben, trotz der frühen Sonne, und mit jedem Eintauchen des Paddels kniff ihn der Fluß schmerzhaft in die Hand. Er machte jeweils zwanzig Schläge und wechselte dann die Seite, aber danach war die triefnasse obere Hand dem Wind ausgesetzt, der aus Südwesten den Fluß hinaufpfiff, und bald wurde sie taub. Kleinere Eisplatten trieben im Wasser wie grauer Schorf, und beide Ufer waren damit übersät. Jeder Atemstoß kam als Dampfwolke. Vor ihm legte sich Pamela mit aller Kraft in ihr Paddel, wechselte mit einem geschickten Schlenker des Handgelenks die Seiten und äußerte kein Wort der Beschwerde.
    Mitte Oktober, und die Erlen, Weiden und Birken loderten in totem Rot und fleckigem Gelb, in jeder Nacht brach harter Frost herein, und die Umstellung der Jahreszeiten fühlte sich gut an, als erhielte das ganze Land eine Bluttransfusion, und Sess Harder war es auch selten bessergegangen. Er hatte sein Fleisch – das Glück mit dem Bären und noch mehr Glück mit einem Elch, einem großen brünstigen Bullen, der so viel Wasser gesoffen hatte, daß Sess das Gluckern in seinem Bauch aus hundert Meter Entfernung hörte –, und rund hundert Badewannen voll Weißfisch und Döbel waren auf ihrer alljährlichen Wanderung zu den tiefen Stellen im Fluß, an denen das

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