Grün war die Hoffnung
Laptop und Ringbuch liegen auf dem Beifahrersitz, der Becher steht im Halter, der Wagen summt leise. Dann verlässt sie die Einfahrt, um sich in den Verkehr einzufädeln, der sich von der Schnellstraße herabwindet und sich bereits am Stoppschild am Ende des Blocks staut. Um nach Süden zu kommen, muss sie an der Kreuzung links abbiegen, zwischen einem Einerlei aus Wohnblocks hindurch zwei Blocks nach Norden, dann abermals nach links über die Brücke und schließlich nach rechts im großen Bogen auf die Schnellstraße in Richtung Süden fahren. Als sie vor einem gelben, zu schnellen Cabrio aus der Einfahrt auf die Straße einbiegt, jagt etwas vor ihr über die Fahrbahn, ein verschwommener Schatten, und sie tritt auf die Bremse – ein wütendes Hupen des Cabriofahrers – und spürt den dumpfen Schlag von etwas Sterblichem unter dem linken Hinterrad. Im nächsten Augenblick hält sie mit klopfendem Herzen am rechten Fahrbahnrand, das Cabrio saust vorbei, und sie späht ängstlich in den Rückspiegel, um zu sehen, was sie da überfahren hat, das Tier, das Lebewesen – ein Eichhörnchen, ist es ein Eichhörnchen? –, das sich am Straßenrand windet.
Drei, vier andere Wagen fahren vorbei, als sie mit fliegenden Händen die Warnblinkanlage einschaltet und aussteigt. Gegenüber steht, ganz ungewöhnlich in dieser Gegend voller Wohnblocks, eine weiße Villa im Kolonialstil mit dunklen Türen und Fensterläden, einem großzügig bemessenen Garten und einer Reihe von Bäumen, die es von der Schnellstraße weiter unten abschirmen. Eichen, denkt sie, dahinten müssen ein paar Eichen stehen, oder warum sonst ein Eichhörnchen? Die sind hier eher selten, denn die einheimische Vegetation ist durch Ziersträucher und Zitrusbäume verdrängt und die ökologische Nische der Baumnager von Dachratten besetzt worden, die sich von den Avocados, Orangen und Loquats ernähren, die die Baufirmen haben pflanzen lassen. Aber – sie geht darauf zu, sie sieht seine Augen, dunkelbraun und weit aufgerissen – es ist eindeutig ein Eichhörnchen, ein Westliches Graues Eichhörnchen, Sciurus grisens , zur falschen Zeit am falschen Ort.
Das Gewicht des Wagens hat Hinterbeine und Schwanz zerquetscht und als klebrige Masse aus Fell, Knorpel, Knochen und Blut auf den Asphalt gedrückt. Hals und Kopf sind gereckt, und die Vorderbeine, die winzigen Pfoten mit den wie Bleistiftspitzen schimmernden Krallen kratzen wie wild am harten Teer. Sie versucht, sich zu distanzieren: Sie wird zu spät zu einem Meeting kommen, bei dem es um das Schicksal zahlreicher Spezies in einem geschlossenen Ökosystem geht, während dieses Tier, dieses unglückselige Tier vor ihr, in seinem Lebensraum weit verbreitet ist. Aber als sie vor ihm steht und es sie aus bebenden, glänzenden, unergründlichen Augen anstarrt und sie die feinen grauen Haare mit den schwarzen Spitzen und die makellos cremeweiße Rundung der Brust sieht, wallen Gefühle in ihr auf. Dieses vollkommene Lebewesen, und sie hat es getötet. Oder verkrüppelt. So verkrüppelt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Aber was soll sie jetzt tun? Es mit der Schuhspitze in den Rinnstein schieben? Es in etwas einwickeln – eine Zeitung, die alte Shorts, die im Kofferraum liegt, weil Tim sie immer unter dem Neoprenanzug trägt – und es zum Tierarzt bringen? Zur Tierklinik? Oder soll sie es einfach von seinem Leiden erlösen?
Die Entscheidung wird ihr abgenommen, denn in diesem Moment kommt ein Junge, den sie ein paarmal gesehen hat – zwölf, dreizehn Jahre alt, er wohnt in einer der teuren Wohnanlagen gegenüber dem Hotel, mit Blick aufs Meer –, auf seinem Skateboard angeschossen und stößt einen leisen Pfiff aus. »O Mann«, sagt er und sieht von ihr zu dem sich windenden Eichhörnchen, »krass. Haben Sie das überfahren?«
»Ja«, sagt sie. Warum ist ihre Stimme ein Flüstern? Warum ist sie mit einemmal kurz davor, in Tränen auszubrechen?
Bevor sie noch irgend etwas sagen oder denken kann, ergreift der Junge die Initiative, tritt einen Schritt vor und stampft mit dem Absatz auf den Kopf des Tiers, so dass die rosige, graue Gehirnmasse hervorquillt und aussieht wie Spaghetti.
Sie hat sich für das Docksider entschieden, weil es nah am Büro liegt und weil der Blick unschlagbar und die Qualität gehoben ist. Frazier stammt aus Neuseeland, wo die invasiven Spezies die einheimischen zu verdrängen drohen, und hat dort Island Healers gegründet. Er ist ein Mann, der stolz darauf ist, mit allem
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