Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Wasser spritzt an die Knöchel … Sie ist kurz davor, mit der Faust an die Wand zu schlagen und loszubrüllen, als plötzlich wieder warmes Wasser kommt; sie hält den Kopf unter den Strahl und macht eine schnelle Pirouette, um die Wärme zu verteilen. Obwohl ihr unter der Dusche die besten Gedanken kommen – das muss irgendwas mit der beruhigenden Wirkung rinnenden Wassers und dem Öffnen der Poren zu tun haben –, beschränkt sie sich strikt auf fünf Minuten, gemessen mit der Taucheruhr, die Tim ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat. Das reicht kaum, um das Haar zu waschen, auszuspülen, den Conditioner aufzutragen, wieder auszuspülen, den Detangler aufzusprühen und anschließend durchzukämmen – besonders, wenn das Wasser fünfzehn Sekunden lang eiskalt ist –, aber sie ist entschlossen, kein Wasser zu verschwenden, nicht während der anhaltenden, ewigen Dürre, erzeugt durch Abholzung, globale Erwärmung und einen Bedarf, der täglich exponentiell steigt, denn die Bauunternehmer wollen Profite machen und stampfen eine Wohnsiedlung nach der anderen aus dem Boden. Schuld – das ist es, was Almas Ressourcenverbrauch definiert. Schuld, weil sie lebt, weil sie Dinge braucht, Dinge verbraucht, weil sie den Wasserhahn aufdreht oder die Flamme des Gasbrenners entzündet.
    Der Minutenzeiger kriecht, die Sekunden ticken dahin, und sie spült ihr Haar zum zweitenmal aus und dreht neun Sekunden vor der Zeit beide Hähne zu. Zitternd trocknet sie sich rasch ab, bevor sie mit Tims Elektrorasierer über ihre Beine fährt und ein trockenes Handtuch um den Kopf wickelt. Trotz des Dampfs und des hartnäckigen Geruchs der diversen Duftstoffe, die die Hersteller irgendwie in ihre angeblich geruchsneutralen Kosmetikprodukte schmuggeln, riecht sie die ganze Zeit verbranntes Fleisch. Womit behandeln die den Speck eigentlich? Mit Salz und Karzinogenen, womit sonst? Durch die beschlagene Badezimmertür kann sie hören, dass ihre Mutter in der Küche die leichte Unterhaltungsmusik aus dem Radio mitsingt.
    Gestern abend, gerade als sie sich zum Essen setzen und den Film ansehen wollte, den sie auf dem Heimweg von der Arbeit in der Videothek ausgeliehen hatte (einfache Kost: brauner Reis und Wokgemüse, dazu Madame Bovary , in der ersten Verfilmung von Jean Renoir), läutete es. Sie drückte die Stopptaste, als die vollbusige Emma mit den gestrafften Schultern, dem Kussmündchen und den messerdünnen Augenbrauen der dreißiger Jahre auf einem bukolischen Bauernhof mit muhenden Kühen und saugenden Ferkeln zum erstenmal dem Landarzt gegenübertrat, und dachte, es sei vielleicht irgendein Vertreter, doch vor der Tür standen ihre Mutter und ihr hagerer Stiefvater, der Alkoholiker, mit Einkaufstüten in den Händen. Ihre Mutter bestand darauf zu kochen – »Wir haben einen Riesenhunger, und du weißt ja, wie ich diese Raststätten hasse« –, und zehn Minuten später standen sie alle drei in der winzigen Küche, sie selbst mit Sake on the rocks und ihre Mutter und Ed mit großen Gläsern voller Wodka, versehen mit einem Schuss Diät-Tonic und einem papierdünnen Streifen Zitronenschale, und ihre Mutter rührte rasch eine Tomatensauce zusammen. »Natürlich vegetarisch, Schätzchen, mit Auberginen, Paprika und Pilzen und ein bisschen Putenwurst für deinen Vater. Ed, meine ich.«
    Erst als sie an dem kleinen Arbeits- und Esstisch in der Küche saßen und die Drinks zum zweitenmal nachgeschenkt worden waren, als Reis und Wokgemüse zum späteren Verbrauch in einer Tupperwaredose ganz hinten im Kühlschrank verstaut waren und die Nudeln auf den Tellern dampften, fragte ihre Mutter, wo Tim eigentlich sei. »Macht er Überstunden oder so?« Sie beugte sich über ihre Spaghetti und schwenkte ihr Glas, so dass die Eiswürfel leise klirrten. »Alles in Ordnung zwischen euch?«
    »Ja«, sagte Alma und hatte dabei das Gefühl, der Wahrheit oder jedenfalls ihrem Kern auszuweichen, obwohl das überhaupt nicht der Fall war und sie und Tim sich so nahe waren wie noch nie zuvor. »Prima. Er ist diese Woche auf der Insel.«
    Ihr Stiefvater – er hatte weiße Haare und ein Hüftleiden und war sechs Jahre älter als ihre Mutter, sah aber so aus, als wäre der Altersunterschied zwischen ihnen doppelt so groß – wickelte ein paar Spaghetti um seine Gabel, legte diese dann hin und sagte: »Wie läuft’s denn dort so? Gut?«
    Sie war sich bewusst, dass der Blick ihrer Mutter auf sie gerichtet war, und antwortete automatisch: »Ja, gut, sehr

Weitere Kostenlose Bücher