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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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überspült.«
    Alle blicken über das Tal, auf den Einschnitt, wo das braune Wasser durch Stromschnellen braust. Keiner sagt etwas. Der Regen fällt stetig und vertikal, schlägt auf ihre Mützen und Schultern und bringt die Erde unter ihren Füßen in Bewegung.
    »Es wird steil sein und vielleicht eine ziemliche Belastung für eure Knöchel, aber es ist machbar.« Er wendet sich zu Toni Walsh. »Okay? Wenn es zu anstrengend wird, sagen Sie mir einfach Bescheid.«
    Zusammengesunken und blass steht sie da, auf ihrer Wange prangt wie eine Stammesbemalung ein gelblicher Schlammstreifen. Sie zuckt die Schultern. »Ich weiß nicht«, sagt sie, und dann lächelt sie kurz – ein gutes Zeichen, ein sehr gutes Zeichen. »Ich bin wohl eher ein Stadtmensch. Aber was tut man nicht alles für eine gute Story?«
    Und jetzt sagt Kelly etwas – ja, es ist Kelly, eindeutig Kelly mit dem PETA-Abzeichen und dem Mondgesicht und dem missbilligend gespitzten Mündchen. Ihm wird bewusst, dass sie Suzanne überhaupt nicht ähnlich sieht, jedenfalls nicht im Gesicht. »Und was ist mit Erdrutschen?« fragt sie. »Ich meine, mit der Möglichkeit von Erdrutschen? Siehst du den Abbruch da?« Sie zeigt auf ein langgezogenes, nach innen gewölbtes Stück Hang, den sie werden queren müssen, um zum oberen Ende des Canyons zu gelangen. »Da hat’s jedenfalls mal einen Erdrutsch gegeben, das sieht man.«
    »Tja, das Risiko werden wir wohl einfach eingehen müssen. Ich bin schon tausendmal bei solchem Wetter herumgewandert – ihr etwa nicht? Das wird die Schweinemörder vielleicht ein, zwei Tage abhalten, aber im Augenblick sitzen die da und ölen ihre Gewehre und warten.«
    Diesen Augenblick wählt der Regen, um stärker zu werden und den Einsatz zu erhöhen. Unter der durchnässten Mütze hängen die Dreads schlaff herab – tropf, tropf, tropf. Er will vernünftig sein, will diese Leute beherrschen, indem er sich selbst beherrscht, aber das ist keine Option, jetzt nicht mehr. »Scheiß drauf. Ich habe keine Lust, hier herumzustehen und zu diskutieren. Wenn ihr hierbleiben wollt – bitte, von mir aus. Aber ich gehe weiter, und zwar jetzt.« Unvermittelt setzt er sich in Bewegung, geht den kleinen Hügel mit übertrieben weit ausgreifenden Schritten auf der anderen Seite hinunter und tritt dabei eine kleine Lawine aus Schlamm und Steinen los, so in Fahrt, dass er sich nicht mal umdreht, um zu sehen, ob sie ihm folgen. Sie werden ihm folgen, das weiß er. Sie müssen ihm folgen.
    Eine halbe Stunde später – es regnet noch immer, und das dunkle tosende Wasser in der Schlucht steigt mit jeder Minute – kommen ihm gewisse Bedenken. Er spürt die Oberschenkelmuskeln, die Ärmel seines Sweatshirts sind bis zum Ellbogen voller Schlamm, denn dieser Anstieg ist nur mit Hilfe der Hände zu bewerkstelligen, und seine Knöchel schmerzen von der Anstrengung, auf einem fünfundvierzig Grad steilen Hang das Gleichgewicht zu bewahren. Und dabei ist er ziemlich fit. Was man von Toni Walsh oder den beiden birnenförmigen Studentinnen oder auch Josh nicht behaupten kann. Sie gehen im Gänsemarsch hinter ihm, etwa fünfzehn Meter über dem Wasser, und halten sich, um nicht zu stürzen, an allem fest, was sie zu fassen kriegen, ob es nun Dornen hat oder nicht. Niemand sagt etwas. Cammy ist direkt hinter ihm und treibt ihn geradezu an, gefolgt von den beiden anderen Frauen, dann kommt Toni Walsh, klatschnass, mit grauem Gesicht, wie eine wandelnde Tote, und den Schluss bildet Josh, damit er ein Auge auf sie haben kann. Sie sind noch nicht ganz einen Kilometer weit gekommen und haben fast den ersten Wasserfall erreicht, wo sie wenigstens aus dem Matsch herauskommen werden. Es gibt keine Anzeichen von Schweinen, Jägern, Füchsen, Raben oder sonstwas. Sie könnten ebensogut auf der Rückseite des Mondes sein. Nur dass es auf dem Mond keinen Regen gibt. Und keinen Matsch.
    Die Überraschung war Toni Walsh. Seit sie den ersten Hügel hinuntergegangen sind, hat er erwartet, dass sie schlappmacht, aber jedesmal, wenn er sich umsieht, ist sie da und stapft mit gesenktem Kopf dahin. Trotzdem, denkt er, wie lange wird sie noch durchhalten? Sie müssen raus aus diesem Canyon, und zwar schnell. Oder eine Stelle finden, wo sie sich ausruhen kann, damit er und Josh oder Cammy vorausgehen und nach etwas suchen können, das ein Weitergehen lohnend erscheinen lässt. Er mustert das Terrain drei-, vierhundert Meter vor ihnen, wo der Canyon sich verengt – Felsen türmen sich

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