Grün war die Hoffnung
auf, von tiefen Rissen und Rinnen durchzogen, durch die das Wasser schießt –, als er einen Überhang entdeckt, der wie ein großes Vordach wirkt. Endlich , denkt er und fasst neuen Mut, dreht sich zu Cammy um und deutet darauf, bevor er den anderen zuruft: »Dort oben!« Er sieht, wie sie mit ausdruckslosen Gesichtern den Blick heben. »Da werden wir rasten.«
Der Überhang bietet nicht viel Schutz. Sie sind unter einem tropfenden Vorsprung auf einem etwa drei Meter langen Sims, das nach drei Seiten offen ist, aber immerhin bekommen sie hier weniger Regen ab. Es ist etwas eng, man steht Schulter an Schulter, Stiefel an Stiefel, und als erstes holen sie, ob Mann oder Frau, etwas zu essen aus den Rucksäcken. Es gibt nicht viel zu sagen außer: »Könntest du noch ein Stückchen rücken?«, und: »Willst du Erdnussbutter oder Frischkäse und Sprossen?« Für einen langen Augenblick hört man nur das Rauschen des Regens, das Knistern von Zellophan und ein gelegentliches leises Schmatzen. Dann zieht Josh eine Bota hervor (aus Kunststoff und Vinyl – er würde sich nie einen Schafsmagen aufs Gewissen laden) und fragt, ob jemand einen Schluck will.
»Was ist dadrin?« Toni Walsh blickt interessiert auf. Sie ist zu einem rosaroten Bündel zwischen lauter Beinen und schmutzigen Stiefeln zusammengesunken, ihr Gesicht ist weiß wie ein Fischbauch, ihr Haar sieht aus wie das Zeug, mit dem man Versandkisten auspolstert, und sie nimmt kaum Notiz von den anderen und verzehrt etwas, was wie ein fix und fertig gekauftes, dick mit Schinken und Käse belegtes Sandwich aussieht. »Brandy, hoffe ich.«
»Rotwein. Ein ordentlicher, robuster Zinfandel. Er ist gut, trinken Sie ruhig.«
Alle nehmen einen Schluck. Als Suzanne dann auch noch selbstgebackene Haferkekse herumreicht, scheint es allen ein wenig besserzugehen. Die Bota kommt zu ihm, und auch er trinkt etwas – warum nicht? Er kann einen kleinen Schub gebrauchen.
»Was meinst du?« sagt Cammy, zu ihm gewandt. »Ich meine, realistisch betrachtet. Haben wir eine Chance, da raufzugehen und vor Einbruch der Dunkelheit wieder an Bord zu sein?« Sie lehnt an der Felswand und sieht mit ihren langen Armen und Beinen wie eine Zwölfjährige aus. »Damit hab ich nämlich nicht gerechnet«, fügt sie schnell hinzu. »Mit diesen Bedingungen, meine ich.«
Er zuckt die Schultern, als wäre das ohne große Bedeutung, und reicht die Bota an Kelly weiter, die praktisch auf seinem Schoß hockt. Wenn sich in ihrem Gesicht je Abenteuerlust gespiegelt hat, so ist diese längst verschwunden, doch sie hebt pflichtschuldig den Beutel, legt den Kopf in den Nacken und spritzt sich etwas Wein in den Mund. Sie riecht nach Schweiß und der Orange, die sie geschält hat, und unter dem Mützenschirm quillt ihr krauses Haar hervor. Geistesabwesend sieht er, wie sie sich einen Weintropfen von der Lippe leckt – eine dickliche junge Frau, uninteressant und reizlos, die dringend eine Generalüberholung braucht, wenn sie je einen Mann finden und ein halbwegs gutes Leben oder überhaupt irgendein Leben außerhalb eines Nonnenklosters führen will –, bevor er sich wieder Cammy zuwendet. »Ja, ich hab schon darüber nachgedacht, ob ich mit vielleicht zwei anderen weitergehen soll, während der Rest umkehrt. Ich könnte Ihre Kamera nehmen, Toni. Vielleicht hab ich ja Glück.« Alle sehen ihn an, aber er kann aus ihren Mienen nicht schließen, ob sie erleichtert sind oder nicht. »Cammy hat recht: Wir haben einen schlechten Tag erwischt, und wir werden auf keinen Fall alles tun können, was wir uns vorgenommen haben. Jedenfalls nicht in dem Umfang wie geplant.«
»Mist«, sagt Josh. Seine Stimme klingt ganz hohl. Er stiert vor sich hin und hat die Knie an die Brust gezogen, die leere Bota baumelt von den Fingern der einen Hand, die Stiefel sind bis zu den Schnürsenkeln mit Schlamm überzogen. Er zittert. Alle zittern. Unterhalb von ihnen, lauter jetzt, so laut wie statisches Rauschen, ertönt das unablässige spöttische Tosen des Wassers im Canyon. Niemand scheint noch etwas zu sagen zu haben. Sie wollen zurück, allesamt, sie wollen aufgeben, er sieht es in ihren Gesichtern.
Es ist ein Augenblick der Schwäche, der Hoffnungslosigkeit, der Niedergeschlagenheit. Aber er wird nicht aufgeben, er wird aus diesem Canyon klettern und Fotos machen, die diese Schändlichkeit anprangern, damit der Press Citizen sie auf der ersten Seite drucken und jeder sehen kann, was diese Mörder anrichten, und dann wird er
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