Grün war die Hoffnung
Eichhörnchen überfahren hat – auf dem Asphalt ist nur noch ein dunkler Fleck zu sehen –, dann auf der Brücke die Schnellstraße überqueren und in den langen, gewundenen Streifen des Lower Village abbiegen. Sie ist beim Überqueren der Straße besonders vorsichtig und geht, als trüge sie bereits ein Neugeborenes auf dem Arm, denkt aber die ganze Zeit, dass sie erst Gewissheit haben muss, auch wenn es in den Augen ihrer Mutter bereits eine Tatsache ist. Ihre Mutter hat sie einfach umarmt und sich unbeholfen zu ihr hinuntergebeugt, um ihre Wange in einem Aufwallen von Hitze und Emotion an die ihrer Tochter zu drücken. Dann hat sie sich aufgerichtet und gelacht. »Ich hatte schon so einen Verdacht«, hat sie gesagt, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf schräg gelegt und übers ganze Gesicht strahlend, absolut strahlend, »aber ich wollte nichts sagen. Und ich weiß beim besten Willen nicht, warum es ›morgendliche Übelkeit‹ heißt – ich hab sechs Monate lang morgens und abends gekotzt, bis ich dachte, es wäre leichter, den Mount Everest in einem Bikini zu besteigen, als dich auch nur einen einzigen Tag länger mit mir herumzutragen, aber dein Vater war ein Schatz. Darin war er gut. Er hat mich total unterstützt. Und er hat dich geliebt von dem Moment an, in dem du geboren wurdest. Er hat dich vergöttert.« Sie hat noch mehr gesagt – eine Lobeshymne auf die Hausgeburt mit Hebamme, denn ein grell ausgeleuchteter steriler Kreißsaal sei ja wohl kaum der richtige Ort, um das Licht der Welt zu erblicken. Sie selbst hätten damals eine Geburtsparty veranstaltet, wusste sie das eigentlich? Und sie hätten alles gefilmt – »Man konnte deinen kleinen Kopf hervorkommen sehen, ein kleines, weiches, rotes Ding, so winzig, dass ich dachte, ich bringe eine Mango zur Welt« –, aber leider sei der Film irgendwann verlorengegangen.
Erst als sie den Schwangerschaftstest in der Hand hält, im zu hell erleuchteten Gang zwischen den Regalen steht und, während andere Frauen in Tenniskleidung und Joggingschuhen und abgewendetem Blick vorbeiwispern, die Gebrauchsanweisung studiert, denkt sie an den zukünftigen Vater, an Tim. Tim, der im Augenblick auf der Insel ist, außerhalb des Mobilfunknetzes, und Steinadler fängt. Sie überfliegt den Text ( Mit einer Genauigkeit von 99% – Fünf Tage früher! ) und sieht sein Gesicht vor sich, sieht, wie er die Mundwinkel nach unten zieht, wenn er überrascht oder verblüfft ist. Und er wird überrascht sein, keine Frage, denn sie haben die Möglichkeit eines Kindes nie erörtert, jedenfalls nicht ernsthaft. Sie verhüten, und zwar diszipliniert, und obwohl sie Tim zuliebe auf Kondome verzichten, vergisst sie nie – niemals, ganz gleich, wie erregt sie sind –, ihr Diaphragma einzusetzen. Sie sind beide überzeugte Umweltschützer. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Ökosystem zu schützen und zu bewahren, es wiederherzustellen. In diese überbevölkerte Welt ein Kind zu setzen ist unverantwortlich, falsch, eigentlich nichts anderes als Sabotage …
Aber warum fühlt sie sich dann so beschwingt? Warum fühlt sie sich mit einemmal so groß und gewaltig und den anderen Frauen, die keinen Schwangerschaftstest in den Händen halten, so weit überlegen? Weil sie ein Lebewesen ist, darum, und weil Lebewesen sich fortpflanzen. Der einzige erkennbare Zweck des Lebens ist es, weiteres Leben hervorzubringen – jeder Biologe weiß das. Sie ist siebenunddreißig. Ihre Uhr tickt. Sie ist ein einzigartiger Mensch mit einem einzigartigen genetischen Bauplan, Vertreterin einer überlegenen Linie – das ist Fakt, ganz vorurteilsfrei gesehen –, und Tim mit seinem hohen IQ, seiner ausgeglichenen Persönlichkeit und seinen langen, eleganten Gliedmaßen ebenso, und wenn es irgendeine Hoffnung auf Verbesserung der Spezies geben soll, haben sie geradezu die Pflicht, ihre Gene weiterzugeben.
Die Frau an der Kasse – jenseits der Wechseljahre, mit sprödem Haar und Falten, die an den Mundwinkeln ziehen – sieht aus wie eine Mutter, wenn auch eine, deren Schwangerschaften lange zurückliegen, und als sie Almas Einkauf scannt und in eine Tüte packt, schenkt sie ihr ein kleines komplizenhaftes Lächeln. Alma, die sich noch immer groß und gewaltig fühlt, erwidert den Blick und lächelt zurück. »Einen schönen Tag noch«, sagt die Frau, und diese abgedroschene Formel hat mit einemmal ein ganz neues Gewicht. Alma schafft es nicht, sich ein Grinsen zu verkneifen, als sie die
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