Gründergeschichten
Methoden müssen entwickelt werden, um Genmaterial billig, effizient und standardisiert aus Blutproben
gewinnen zu können. Auch Molekularbiologen samt Hightech-Ausrüstung werden benötigt, um Krebs-DNA mit einer extrem hohen Empfindlichkeit
detektieren zu können. Eine ganze Truppe von Medizinern muss mit Krankenhäusern zusammenarbeiten und Patientenkollektive sammeln,
um nachzuweisen, ob die Tests funktionieren. Für die Bearbeitung und Auswertung der riesigen Datenmengen werden wiederum Kenner
in Statistik und IT gebraucht. Dazu kommt ein Verwaltungsapparat für Gesundheitsökonomie sowie Vertrags-, Marken- und Patentrecht
– denn die Epigenomics-Gründer fangen früh an, ihre Forschungsergebnisse patentieren zu lassen. Dieses geschützte Wissen soll
einmal ihr Kapital werden.
Olek geht in der Arbeit voll auf: »Das Ganze ist echt schwierig. Aber diese Komplexität und dieses Managen verschiedener Disziplinen
ist ja gleichzeitig auch das Spannende.« Sein zweites großes Talent kommt zum Tragen: Menschen zusammenzutrommeln und von
einer Idee zu überzeugen. Bekannte sagen über ihn, Olek sei schon immer ein großer Motivator gewesen, jemand, der in einem
Team schnell ein Wir-Gefühl erzeugen kann. Anderthalb Jahre nach der Gründung arbeiten schon 50 Menschen für Epigenomics.
Im Herbst 2001 sind es bereits 120 Mitarbeiter; es gibt neben dem Berliner Hauptsitz noch eine Niederlassung in Seattle in
den Vereinigten Staaten.
Während die Mitarbeiter an der Entwicklung des Krebsmarkers arbeiten, besorgt Olek das Geld. Auf die potenziellen |18| Investoren wirkt der junge Wissenschaftler mit der Strubbelfrisur und der Nickelbrille kompetent, frisch und dynamisch. »Schlitzohr
im Forscherkittel« nennt ihn einer. Auch die Geldgeber lassen sich von Oleks Idee überzeugen, und natürlich von den Gewinnaussichten:
Schafft es das Produkt an den Markt, wird es voraussichtlich ein paar hundert Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen. »Bei
den Umsatzbeteiligungen, die man in der Branche kriegt, ist das reiner Profit für so ein Unternehmen wie Epigenomics«, stellt
Olek fest. »Und außer dem Darmkrebsscreening werden ja noch andere Produkte kommen, gegen Prostatakrebs und gegen Lungenkrebs.«
Olek ist sich sicher: »Das Ding kann mehr einbringen als der Transrapid in den kühnsten Träumen von Siemens – wenn es klappt.«
Denn anders als in vielen anderen Branchen gehört zu Investitionen in der Biotechnologie auch immer ein großes Stück Risikobereitschaft:
Ob das Produkt, in das man seine Hoffnungen setzt, auch wirklich funktionieren wird, muss sich in klinischen Tests ja erst
noch herausstellen. Die Investoren gehen das Wagnis ein: In zwei Finanzierungsrunden nimmt Epigenomics bis 2003 insgesamt
40 Millionen Euro Kapital ein und stürzt sich in die Forschung.
Alles scheint bestens zu laufen. Doch bald schon grummelt in Olek wieder die Unruhe und Unzufriedenheit. Die für die Branche
typischen langen Produktzyklen beanspruchen seine knapp bemessene Geduld. »Man legt los mit einer unendlich geringen Wahrscheinlichkeit
dort anzukommen, wo man hin will, und dann sitzt man da und forscht und tut und macht. Dabei liegt der größte Teil der Risiken
in der Biologie. Da muss ich jedes Mal wieder ein unendliches Glück haben, bis ich zufällig da ankomme, wo ein Produkt rauskommt.«
Seine |19| eigene Leistung bestehe dagegen in reiner Fehlervermeidung, beschwert sich Olek. »Das ist ein mieses Gefühl, immer zu wissen,
dass nur 20 Prozent des Ergebnisses auf meiner Leistung und 80 Prozent auf Glück beruhen. Dazu findet die Arbeit in einem
Elfenbeinturm statt: Man hat keine Kunden, man hat null Feedback, außer vom Finanzmarkt, und der ist so ein Ding für sich.
Für einen Wissenschaftler ist das genial, aber nicht für einen Unternehmer.«
Seinen Kontakt zur »normalen« Außenwelt muss er sich also anderswo holen: Olek engagiert sich bei den Grünen, wird Mitglied
des Innovationsrats des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Industrievereinigung
Biotechnologie. Darüber hinaus wird ihm an der Humboldt Universität Berlin ein Lehrauftrag für Entrepreneurship angetragen.
In dieser Zeit erhält er den Deutschen Gründerpreis in der Kategorie »Visionär«, kurz danach erklärt das
Time-Magazine
Epigenomics zu einer der »50 heißesten Tech-Firmen in Europa«.
Und trotzdem ist Olek klar, dass er in dieser Firma nicht
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