Gründergeschichten
den prestigereichen Marken eine Abrundung
des Geschäfts nach oben und hofft, neue Kundenschichten in die Deichmann-Läden zu locken. Der gelernte Betriebswirt versichert
aber: »Im Übrigen haben wir nicht die Absicht, unser Angebot im Preiseinstiegs-Segment einzuschränken, im Gegenteil.« Der
bekennende Nicht-Betriebswirt Heinz-Horst Deichmann hätte das anders formuliert – aber genauso hat er sich stets verhalten:
»Die Leute müssen die Schuhe auch bezahlen können.«
Mindestens genauso wichtig wie der günstige Einkauf war für den Erfolg von Deichmann die Organisation des Verkaufs. In den
Nachkriegsjahrzehnten war der Schuheinzelhandel ein mühseliges Gewerbe. Die Schuhe lagen in Kartons, die Kartons standen in
hohen Regalen, die Verkäuferinnen kletterten auf Leitern, um die Ware herunterzuholen, auszupacken und den Kunden zu zeigen.
Deichmann spürte, dass das alles zu langsam und zu teuer war. Er engagierte den Rationalisierungsfachmann Lorenz Brockmeyer.
Einen Mann, von dem Deichmann sagt, er sei »sehr streng im Denken gewesen – für uns genau der Richtige.«
Mit Brockmeyer sucht er nach Alternativen. »Wir sind nach England gefahren und haben uns die Läden in London angesehen. In
der Oxford Street hatten die Läden die Schuhe nicht nur im Schaufenster stehen, sondern halbpaarig oder sogar paarig im Laden
ausgestellt – zur Vorwahl. Das hat uns so imponiert, dass wir uns entschlossen haben, die Fläche auszuweiten und die Schuhe
im Geschäft zu präsentieren. Alle Modelle, die wir hatten. In jeder Größe. Sodass der Kunde eine gewisse Vorwahl oder sogar
Selbstwahl treffen konnte. |172| Den Raum, den man sonst fürs Lager brauchte, hat man dann benutzt, um die Schuhe im Laden zu präsentieren. Zuerst haben selbst
meine eigenen Leute sehr kritisch geguckt. Das war eine echte Erfindung. Heute macht das jeder.«
Brockmeyer und Deichmann reisen mit dem Schiff, ein touristisches Beiprogramm gibt es nicht. Die ganze Reise dauert nur zwei
Tage. Doch wenn Brockmeyer auf See nicht so hundeelend gewesen wäre, hätte die Stimmung nicht besser sein können. Deichmann
erkennt die immensen Vorteile des Systems sofort: »Verkäuferinnen können ihre Zeit besser nutzen«, sagt er. »Die Pro-Kopf-Leistung
muss relativ hoch sein – dann kann der Einzelne ganz gut bezahlt werden. Das soziale System muss ja finanziert werden.« Für
den Kunden sieht er nur Vorteile. Er kann sich selbst seine Schuhe aussuchen oder sich – wenn er es möchte – auch in gewohnter
Weise bedienen lassen.
Deichmann ist Christ und Unternehmer. In der Reihenfolge. Einen Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialem
Engagement sieht er nicht. Im Gegenteil: Von Anfang an achtet er darauf, dass die Mitarbeiter sich in der Firma aufgehoben
fühlen; den Erfolg sollen sie als gemeinsamen Erfolg erleben, von dem sie einen fairen Anteil erhalten. In den ersten Nachkriegsjahren
werden zu Betriebsausflügen noch Schuhvertreter hinzugebeten, weil die schon damals Autos besaßen und für den Transport sorgen
konnten. In den Aufbaujahren finden Betriebsfeiern und Jubiläen in Deichmanns Privathaus statt. Erst als die Firma so groß
wird, dass auch Terrasse und Garten nicht mehr ausreichen, um allen Platz zu bieten, gibt Deichmann diese Tradition auf. Aber
Feiern – die gezielte Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls |173| – gehören bis heute zur Unternehmenskultur. Vergangenes Jahr war er noch mit über 700 Mitarbeitern auf dem Rhein. Die Sieger
von »Verkaufswettbewerben« werden mit Pokalen ausgezeichnet, im »100 %-Club« treffen sich die Filialleiter, die ihre Vorgaben
übererfüllt haben. Die Firma lädt sie zu schicken Reisen ein, wo sie dann stolz und glücklich mit Heinrich Deichmann posieren,
was hinterher in der Firmenzeitschrift zu sehen ist. »Dass wir alle den Inhabern so nah sind wie bei Deichmann«, jubelt der
100%-Club-Sieger Wolfgang Gutberlet, »das gibt es nur bei Deichmann.«
»Die Ehrungen sind ganz wichtig«, weiß Deichmann. »Die Leute müssen spüren, dass ihre Leistung anerkannt wird.« Deichmanns
Frau Ruth erinnert sich: »Er hat mir immer gesagt, wir müssen in die Läden gehen, damit unsere Mitarbeiter wissen, dass wir
zu ihnen gehören und dass wir nicht höher stehen als sie.« Bis heute kennt Deichmann die meisten Führungskräfte des Hauses,
viele hat er selbst eingestellt. Die Firma hilft den Angestellten in Notlagen – und
Weitere Kostenlose Bücher