Gründergeschichten
erwartet überdurchschnittliches Engagement,
wenn es die Arbeit erfordert. Jürgen Schulte, seit Jahrzehnten Dekorateur bei Deichmann, wurde in den 50er Jahren noch in
Jagdgeschäfte geschickt, um Gewehr, Hut und Munitionstasche als Deko zu besorgen. Abends hat ihn Deichmann manchmal nach Hause
eingeladen: »Ich saß zum Abendessen mit der Familie am Tisch und es gab Bratkartoffeln. Ganz einfach.«
Vier Kinder haben Ruth und Heinz-Horst Deichmann. Als 1999 der einzige Sohn, Heinrich, die Leitung des operativen Geschäfts
übernahm, musste er dem Vater versprechen, die Firma niemals in eine Aktiengesellschaft mit fremden Anteilseignern umzuwandeln.
Bis heute veröffentlicht das Unternehmen |176| , obwohl mittlerweile ein Gigant mit mehr als 2,5 Milliarden Euro Umsatz, keine Zahlen zum Gewinn. »Wir sagen immer nur, er
sei zufriedenstellend«, lässt der Pressesprecher wissen. Es gibt kein Management, das von der Gier der Anleger nach immer
besseren Quartalszahlen getrieben wird. Eine fein verschachtelte Konstruktion aus Firmen und Stiftungen schützt Deichmann
vor der Publizitätspflicht.
|174| Der Gründer
Name:
Heinz-Horst Deichmann
Geburtsjahr
:
1926
Geburtsort
:
Essen
Ausbildung /Abschluss:
Arzt, Dr. med.
Heutige Position in der Firma:
Geschäftsführender Gesellschafter
Das Unternehmen
Firmenname:
Heinrich Deichmann-Schuhe GmbH & Co.KG
Sitz
:
Essen
Gründungsjahr
:
1913
Was macht die Firma?
Schuheinzelhandel
Mitarbeiter:
25 000 (davon 13 000 in Deutschland)
Umsatz:
2,7 Milliarden Euro
Gewinn:
»Das Unternehmen arbeitet profitabel«
|175|
Heinz-Horst Deichmann
Gewinn ist, wie Deichmann sagt, »betriebsnotwendig«. Im schriftlich fixierten Leitbild der Firma heißt es, Gewinne brauche
man, »um das Unternehmen gesund zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen, die Expansion aus eigener Kraft
zu ermöglichen sowie soziale Aufgaben wahrzunehmen.« Aber Profit um jeden Preis war Deichmann schon zuwider, als noch niemand
von Globalisierung sprach. Bereits vor 25 Jahren sagte er: »Der Kapitalismus ist die ungebremste, permanente Steigerung von
Macht und darum auch der unablässige Kampf um Herrschaft. Die Aggressivität, die er freisetzt, um seine Welt zu bauen, hat
ihre Quelle in einer bodenlosen Angst. Sie ist Sünde, die Perversion der Gottesliebe.«
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Deichmann ist Marktwirtschaftler durch und durch. Er vertraut auf das freie Spiel
der Kräfte, käme nicht auf die Idee, nach dem Staat zu rufen, um Misserfolge auszugleichen. Aber wirtschaftliches Handeln
ist für ihn nie losgelöst von ethischen und moralischen Prinzipien – und die bezieht er aus einer tiefen Gläubigkeit, die
gelegentlich etwas anachronistisch wirkt und immer authentisch. Der Mann verstellt sich nicht. Er ist wie er ist. Und hat
damit seit Jahrzehnten Erfolg. Oft ist er angefeindet worden als Totengräber der kleinen Schuhgeschäfte. |177| Für die, sagen seine Kritiker, ist er was Aldi für den Tante-Emma-Laden an der Ecke war – der Ruin. Deichmann sieht das naturgemäß
anders. Er kann nichts Verwerfliches daran finden, zu versuchen, besser als die Konkurrenz zu sein. Und er bestreitet vehement,
dass er keinen Platz gelassen habe für andere Schuhhändler. »Wenn einer will, kann er«, sagt er. Dann zählt er auf, wo überall
in der Republik kleine Läden profitable Nischen gefunden hätten. Man könne sich spezialisieren, in gute Lagen oder höhere
Preissegmente gehen. Alles sei möglich auf dem Markt. Das Problem sieht er woanders: »Ich glaube, es liegt daran, dass die
jungen Leute, die Nachfolger, nicht mehr bereit sind sich so einzusetzen, den ganzen Tag, wie ihre Eltern.«
Das Engagement von Ruth und Heinz-Horst Deichmann ist legendär. Ruth hat eine ihrer Töchter an einem Sonntag geboren – da
stand sie bis samstagnachmittags im Laden. Die andere kam montagabends – da war sie bis mittags im Geschäft gewesen.
Das klingt freudloser, als das Leben der Familie vermutlich war. Die Deichmanns machten zusammen Hausmusik, gingen Bergwandern
und Skifahren. Im Schweizer Wintersportort Klosters, der heute sehr schick und teuer ist, besitzen sie seit Jahrzehnten ein
Haus. »Das konnte man damals verflixt günstig kriegen«, beteuert Deichmann, und es klingt fast wie eine Rechtfertigung. Persönlichen
Luxus findet er anstößig. Aber ein gewisses Maß an Konsum gesteht er sich durchaus zu. Für einen Mann mit
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