Gründergeschichten
so klar formulierten
Grundsätzen klingt es fast ein wenig relativistisch, wenn er sagt: »Ich habe für mein eigenes Leben keine sehr übertriebenen
Ansprüche.« Reiten macht ihm Spaß. Er freut sich darauf, wenn er in seine Wohnung |178| in den Niederlanden fährt. Skifahren kann er trotz seiner 80 Jahre noch immer, auch wenn er auf die extremeren Bergtouren
verzichten muss. Er trägt gern Anzüge des Edelschneiders Brioni, den Alt-Kanzler Gerhard Schröder ebenfalls zu schätzen weiß.
»Wenn der das schon macht, dann darf ich das ja wohl auch«, hat er dazu einmal gesagt. Der Schuhpatriarch fährt eine allradgetriebene
Limousine; die brauche er schon, um nach Klosters raufzukommen. Ein Mercedes ist es allerdings nicht. Denn die Stuttgarter
wollten ihm weniger Rabatt geben als den Salamander-Vertretern – was Deichmann schon in einer Zeit mit dem Wechsel zu Audi
bestrafte, als die Autos mit den vier Ringen noch nicht als gleichwertige Alternative zu den traditionellen Luxusmarken vermarktet
wurden. »Der Audi galt früher gar nicht so als Unternehmerauto. Das war ein großer gesellschaftlicher Abstieg«, erinnert er
sich. Was ist es denn für ein Audi? »Ein A8.« Quattro? »Natürlich.« Der Mann zählt zu den reichsten Deutschen. Es wäre tatsächlich
ungewöhnlich, würde er Golf fahren.
Sein Sohn Heinrich erinnert sich an »vulkanische« Temperamentsausbrüche seines Vaters. Als jüngerer Mann soll er einmal mit
einem Leisten nach einem Schuhvertreter geworfen haben. Er war aufbrausend und spontan. Aber alles in allem führte er die
Geschäfte mit ruhiger Hand. Als Gründe für seinen Erfolg nennt Deichmann neben dem Üblichen wie Ungeduld und Stetigkeit »eine
über die Geschäftsrationalität hinausgehende Intuition«. Wenn es darauf ankam, konnte der fast weich wirkende Mann sehr entschlossen
sein: »Bei großer Bereitschaft, einzelne Aufgaben weitgehend zu delegieren, treffe ich oft wichtige Entscheidungen schnell
und allein.« Die Expansion trieb er permanent, aber mit Gespür für |179| das Machbare voran. Langfristige Bankkredite waren ihm zuwider – er hat sie nie gebraucht. Laden um Laden vergrößerte er in
den Anfangsjahren die Kette, bis er die nötige Masse hatte, um den nächsten großen Schritt zu wagen. Zum 50. Firmenjubiläum
im Jahr 1963 gab es 16 Deichmann-Filialen. 1975 waren es in Deutschland 100. Und mit dem Kauf der traditionsreichen Schweizer
Kette Dosenbach hatte zwei Jahre zuvor die internationale Expansion begonnen.
Danach wuchs Deichmann auch in Deutschland in unvermindertem Tempo weiter. 1980 trugen 200 Filialen das grüne Deichmann-Logo,
bis 1986 kamen 100 weitere hinzu. Aber Deichmann erkannte, dass das Wachstum in Deutschland endlich war. Er lauerte auf die
Gelegenheit, im Ausland den nächsten Schritt zu tun. Ein Geschäftsmann, den er 1983 kennen gelernt hatte, schien der ideale
Partner: Mort Lerner, amerikanischer Jude und Chef von Lerner Shoes aus North Carolina. Nur hatte der keine Lust, ausgerechnet
an einen Deutschen zu verkaufen. Die beiden Schuhhändler sprachen wenig über Schuhe und viel über Gott, über Schuld, Verantwortung
und Vergebung. Sie lasen im Alten Testament und erörterten das Verhältnis von Juden und Christen, das Deichmann stets am Herzen
gelegen hatte. Die beiden Männer wurden Freunde. Deichmann kaufte schließlich Lerner Shoes. Daraus wurde die gigantische US-Kette
Rack Room Shoes, die die Erkenntnisse, die Deichmann einst von seinem London-Trip mitgebracht hatte, so konsequent verwirklicht
wie kein Schuhhandelsunternehmen zuvor. Die Schuhe werden neben den geöffneten Kartons präsentiert. Lager gibt es nicht mehr.
Rund 400 solche Geschäfte mit 4000 Mitarbeitern existieren inzwischen. Rack Room Shoes ist die größte Auslandstochter von |180| Deichmann. In Europa kam in den 80er Jahren die niederländische Kette van Haren hinzu, in Deutschland kaufte Deichmann 1988
den Schuhhändler Roland. Dann fiel die Mauer – und Deichmann erkannte die Chance zu einem Wachstumsschub im größer werdenden
Inland.
In Helmstedt an der alten Zonengrenze gingen innerhalb weniger Tage 2000 Paar Turnschuhe über die Ladentische. Die DDR-Bürger
warteten nur darauf, endlich über genügend D-Mark zu verfügen, um ihre Schränke mit neuen Schuhen aus dem Westen zu füllen
– und Deichmann gab seinen Kunden genau die Schuhe, die sie haben wollten und bald auch bezahlen konnten.
Als es im Osten
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