Gründergeschichten
losging, kamen künftige Filialleiter nach Essen, wo die Deichmann-Zentrale in einem bescheidenen Zweckbau
untergebracht ist. Die neuen Mitarbeiter sollten Mitglieder der Deichmann-Familie werden. Auch wenn sich die Welt dramatisch
verändert hatte, setzte Deichmann auf die gleichen Konzepte, die ihn in der westdeutschen Nachkriegsrepublik groß gemacht
hatten. Jürgen Och aus Dresden hat nicht vergessen, dass Deichmann ihn damals in sein Büro bat und ihm alles Gute für seine
Arbeit in der ehemaligen DDR wünschte. »Wir empfanden es als ungewöhnlich, dass er sich als Inhaber eines so großen Unternehmens
für uns interessierte.« Deichmann war nah bei den Menschen – bei Kunden wie Mitarbeitern. Der Erfolg kam über Nacht. Och erinnert
sich an die erste Verkaufsstelle, die in Coswig bei Dresden eröffnet wurde: »Wir konnten die Regale gar nicht so schnell nachfüllen
wie die Ware weg war.« Dann fiel der Strom aus und gerade in dem Moment kam ein Bus mit russischen Offiziersgattinen vorbei,
die scharf auf einen weißen |181| Stiefel zu 19,90 D-Mark waren. Da ging Och mit der Taschenlampe in den Laden und holte die Stiefel. Ein wenig erinnerte die
Lage an die Tage nach der Währungsreform 1948.
In der alten DDR gab es so wenig Telefone, dass die Filialleiter, wie Ochs Kollegin Annelie Meichsner erzählt, »zur nächsten
Telefonzelle im Dorf fahren mussten, um mit Essen Kontakt aufzunehmen.« Aber die neuen Läden hätten sich prächtig entwickelt.
In den Filialen habe es soviel Arbeit gegeben, dass manche neu eingestellte Verkäuferin nach der ersten Mittagspause getürmt
sei. Deichmann begegnete den neuen Mitarbeitern auf Augenhöhe, vertraute ihnen und bemühte sich, ihnen ein gutes Gefühl zu
vermitteln. 1991 reiste er mit seiner Frau zur Weihnachtsfeier nach Günthersdorf. Und da die sozialistisch erzogenen neuen
Mitglieder der Deichmann-Familie wenig textsicher bei christlichen Weihnachtsliedern waren, übte er mit ihnen zusammen. »Stille
Nacht, heilige Nacht« sang der reiche Konzernchef aus dem Westen mit den Neu-Bundesbürgern. Wer den Herrn aber nicht preisen
will, hat bei Deichmann nichts zu befürchten. »Ich habe nie gefragt, wer in der Kirche ist. Bei uns arbeiten auch Muslime
und Atheisten, und das ist auch völlig in Ordnung so.«
Deichmann-Schuhläden gibt es inzwischen auch in Polen, Tschechien, Dänemark, Großbritannien, Ungarn, der Slowakei und anderen
Ländern. Dieses Jahr kommen Schweden, Kroatien und Rumänien hinzu. Aber das ist nur ein Teil der Internationalisierung.
Wesentlich dramatischer als im Verkauf wirkte sich die Globalisierung auf den Einkauf aus. Längst vorbei sind die Zeiten,
in denen Deichmanns Schuhfabrikanten in Pirmasens saßen, auch italienische Schuhe finden sich eher selten unter |182| den über 100 Millionen Paar, die er pro Jahr verkauft. Die Fabriken stehen heute zumeist in Südostasien; oft in Indien, Vietnam
und China. Zunächst arbeitete Deichmann vor allem mit Importeuren zusammen – doch nie beschränkte er sich darauf, nur Container
mit Schuhkartons zu übernehmen. »Ich bin mit den Importeuren früh in die Fabriken gegangen. Wir wollten immer etwas Besonderes,
auch preislich. Heute sind wir in der Lage, direkt mit Fabrikanten in aller Welt die Schuhe zu machen, die wir wirklich haben
wollen.« Vertikalisierung heißt das Konzept. Vom Design über Material und Produktion bis zum Verkauf und der Werbung wird
alles durch Deichmann kontrolliert. Synergien wirken sich direkt auf den Deichmann-Gewinn aus.
Weit über hunderttausend Menschen in der Dritten Welt fertigen Deichmann-Schuhe. Sie tun dies zu Bedingungen, die mit den
Verhältnissen in Deutschland nichts zu tun haben. Deichmann bemüht sich sicherzustellen, dass bei allen Lieferanten bestimmte
Mindeststandards eingehalten werden. Sie sind Teil der Verträge. Im Firmenleitbild heißt es: »Wir legen Wert auf einen fairen
und partnerschaftlichen Umgang mit unseren Geschäftspartnern. Dabei achten wir darauf, dass die Menschen in den Ländern der
Produktionsstandorte unter menschlichen Bedingungen arbeiten können.« Deichmann ist überzeugt, dass die Fertigung in Billiglohnländern
nicht nur den Konsumenten in den Industriestaaten nützt, sondern auch zur Entwicklung der Produktionsländer beiträgt. »In
Vietnam ist mit Händen zu greifen, wie sich das Land entwickelt. In China genauso«, sagt er. Letztlich erwartet er, dass dort
der
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