Gründergeschichten
Hinsicht«, habe ihn ausgezeichnet. »Der Drang, etwas
zu tun.«
Wenn er davon berichtet, wie Arbeit sein Leben von Anfang an ausgefüllt hat, dann klingt dabei eine tiefe Befriedigung durch,
die – wie fast alles bei Deichmann – untrennbar mit seinem Glauben verbunden ist. Vater Heinrich, der 1913 das Geschäft im
Essener Norden gegründet hatte, gehörte einer evangelischen Freikirche an. Bei jeder Mahlzeit lasen die Deichmanns aus der
Bibel, die Kinder gingen zur Sonntagsschule, wo sie die Heilsgeschichte kennen lernten. Dort prägten sich Heinz-Horst Verse
wie »Die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang« ein. So wie Heinz-Horsts Vater sich bemühte, mit den Armen zu teilen, so versuchte
er auch, dies an seine Kinder weiterzugeben. Heinz-Horst und seine vier älteren Schwestern mussten von den Leckereien auf
dem Weihnachtsteller stets ein wenig abgeben für die, die weniger hatten als die keineswegs wohlhabenden Deichmanns. Teilen,
Mitgefühl, Pflichterfüllung – all das gehörte von Anfang an zur unsentimentalen Erziehung. Das Fehlen von Überschwang, Genuss |164| und dem, was man später Selbstverwirklichung nannte, scheint Heinz-Horst Deichmann nie vermisst zu haben. Unten im Haus an
der Borbecker Straße war das Geschäft, darüber das Wohnzimmer und die Küche sowie ein Raum, in dem Schuhe gelagert wurden.
Da schob die viel beschäftigte Mutter Julie ihre Kinder hinein, wenn sie als Babys schrien. »Man hat darum nicht soviel Aufhebens
gemacht«, sagt Heinz-Horst Deichmann. Leben war Mühe und Arbeit. In Deichmanns Fall war es zudem von Anfang an mit dem Geruch
gegerbten Leders verbunden, der das Lager neben dem Wohnzimmer ausfüllte.
Noch als alter und reicher Mann legte Deichmann einen Arbeits- und Lebensrhythmus vor, der die Nachgeborenen beeindruckte.
Antoine Fölmli, Geschäftsführer der Schweizer Deichmann-Tochter Dosenbach Ochsner AG berichtet über Reisen mit Deichmann:
»Wenn wir in einer Stadt sind, dann will er alle Läden sehen, nicht nur die schönen. Wenn wir ein Programm machen, dann muss
der Tag ausgefüllt sein, oft ohne oder mit nur einer kleinen Mittagspause, bis zum Ladenschluss.« Deichmann versteht bis heute
nicht, was daran besonders sein soll. Nie spürte er die Versuchung, den ganzen Laden zu verkaufen, das Geld zu nehmen und
sich mit seiner Frau einen schönen Lebensabend zu machen. Es wäre nicht recht. Und Spaß machen würde es ihm auch nicht; dazu
ist er in sieben Jahrzehnten zu sehr eins geworden mit dem Geschäft.
Er war keine 14 Jahre alt, als sein Vater starb, und er Verantwortung für den Laden in Essen übernehmen musste. Mit nicht
einmal 20 Jahren wurde er in den letzten Kriegswochen schwer verwundet, schlug sich aus Ostdeutschland nach Hamburg durch,
entging mit einer getürkten Bescheinigung |165| der Kriegsgefangenschaft und lief schließlich über viele Hundert Kilometer nach Hause – er wurde da dringend gebraucht, das
Geschäft musste wieder flott gemacht werden.
Vom ersten Tag an setzte Deichmann konsequent darauf, die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen: »Geschäft fängt immer mit
dem Kunden an. Wir wussten in Borbeck genau, welche Schuhe die Leute haben wollen und welchen Preis sie bezahlen wollen. Das
ist heute noch die Grundlage des Erfolges von Deichmann: Wir sind nahe an den Kunden dran. Es ist ganz einfach. Muss es auch
sein. Sonst würde es nicht funktionieren.«
Und so wie er heute in seinen Läden rahmengenähte Schuhe anbietet, die zu den gestiegenen Erwartungen der Kundschaft passen,
so hatte er auch damals, als Deutschland in Trümmern lag, das Richtige im Angebot: Schuhe mit Sohlen aus Pappelholz, für die
ein paar Bäume in einem naheliegenden Garten dran glauben mussten. Als Obermaterial verwendete er stabile Fallschirmseide,
die er irgendwie in Düsseldorf aufgetrieben hatte. Das Produkt war weder modisch noch bequem noch hatte es irgendeinen anderen
Vorteil – außer dem, in großen Mengen verfügbar zu sein. 50 000 Paar solcher Schuhe trieb Deichmann auf und verkaufte sie
an die Leute in der Region, denen ein Pappelschuh lieber war als gar keiner. Dann machte er sich daran, Adressen zu beschaffen.
Wer einen Schuh hatte, der nicht passte, konnte bei Deichmann gegen eine geringe Gebühr tauschen. So kamen die alten Treter
gefallener Wehrmachtssoldaten und die milden, aber drückenden Gaben aus Übersee in seine Läden. Und Tausende Kundennamen in
seine Kartei – das
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