Gründergeschichten
half dann, bei der Militärverwaltung die Zuteilung von Schuhen durchzusetzen. |166| Später fuhr Deichmann beladen mit Säcken voller Kohlen nach Pirmasens, wo die Schuhfabriken dicht gedrängt in der Kälte standen.
Er tauschte Heizmaterial gegen Schuhe – und reiste zurück ins Kohlerevier mit bis zu 100 Paar im Gepäck.
So wie der Elfjährige getrieben war vom Drang, etwas zu tun, so war es auch der Zwanzigjährige. Erstaunlich, dass bei diesem
Pensum noch Raum für andere Interessen blieb. Das Abitur holte er nach dem Krieg nach; die Nazis hatten ihn mit einem Notabitur
von der Schule geholt und in eine Uniform gesteckt. Studieren wollte er auch. Aber nicht Betriebswirtschaft oder Juristerei,
sondern Theologie, Philosophie, später Medizin. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern sah er sich genau eine Vorlesung an. »Das
war kaufmännisches Rechnen. Unglaublich langweilig«, sagt er heute. »Ich bin nie wieder hingegangen.« Studieren hält er auch
heute für sinnvoll, die Heranführung an systematisches Arbeiten, strukturiertes Denken. »Jedes Studium hilft«, sagt er. »Vielleicht
hätte auch Betriebswirtschaft geholfen, wenn man es nicht zu ernst nimmt. Ich muss manchmal lachen, wenn ich die Päpste der
Betriebswirtschaft höre.«
Die Juristen sahen den Studenten Deichmann ebenfalls nur einmal. Ganz anders der berühmte Schweizer Theologe Karl Barth, der
aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt war und in Bonn, wo Deichmann jetzt studierte, Gastvorlesungen hielt. Deichmann
war so begeistert, dass er einmal seinen ganzen Mut zusammen nahm und den großen Mann in Bonn-Poppelsdorf zu Hause aufsuchte.
»Was sie lesen, dass kenne ich gut von der Versammlung«, sagte er.
Versammlung nannte die Freikirche ihre Gottesdienste, die Deichmanns Jugend geprägt hatten. Sein Vater Heinrich blieb |167| Heinz-Horsts Vorbild. Er hatte einer jüdischen Familie während des Nationalsozialismus ein Haus abgekauft – aber die Verkäufer,
die dem Holocaust entkamen, durften das Geld nicht mit ins Ausland nehmen. Heinz-Horst, der mit seinem Lehrer Barth die Überzeugung
teilte, dass die Christen an der Seite der Juden stehen müssten, kaufte der Familie das Haus noch einmal ab. Und begab sich
damit unwiderruflich auf den Weg der Expansion, denn finanziert wurde der Hauskauf 1948 mit dem Geld von Schuhfabrikanten,
denen er für ihre billigen Kredite große Schuhbestellungen versprach. Deichmann setzte – schon als Student – ganz auf den
Erfolg des Schuhhandels. Er traute sich was. 60 Tage war das Zahlungsziel für die Schuhlieferungen. Die Ware musste ebenso
schnell raus, wie sie rein kam; nur dann konnte der Deal mit den Kreditgebern funktionieren. »Das Lager schnell drehen«, nennt
Deichmann noch heute als eine der Grundlagen des Erfolges.
Seine Mutter sah, wie ihr Sohn in rasendem Tempo studierte, bald in Bonn das Physikum – die ärztliche Vorprüfung – ablegte.
Dann wechselte er nach Düsseldorf, wo er dem Geschäft näher war und die klinischen Semester seines Medizinstudiums geschickt
in den Arbeitsablauf der Firma integrierte. »Die Vertreter standen oft mit ihren Mustern auf meiner Station«, erinnert sich
Deichmann, den sie in der Firma noch heute ehrfürchtig den Herrn Doktor nennen und der tatsächlich zum Doktor der Medizin
promoviert wurde. Mutter Julie war sich trotzdem sicher: »Der Junge bleibt im Geschäft.« Einige Jahre lang versuchte er, gleichzeitig
Arzt und Händler zu sein – aber Mitte der 50er Jahre war eine Entscheidung unausweichlich. Deichmann Schuhe besaß inzwischen
eine Filiale in Düsseldorf, in der Dr. Deichmann mit |168| einem alten Opel Schuhe ablieferte, bevor er sich den Arztkittel überzog. Seine Frau Ruth, die er 1950 geheiratet hatte, verzichtete
auf ihren Beruf als Lehrerin, um im Laden mitzuhelfen. Dann kam die große Chance:
Ende 1955 wurde ihm eine Filiale der Firma Salamander in Oberhausen angeboten. Deichmann schlug zu. Das brachte ihm neue Freiheiten
und ermöglichte es ihm, Risiken einzugehen. Im ersten Jahr verdreifachte er den Umsatz in Oberhausen auf über 1,5 Millionen
D-Mark. Das war mehr als die bis dahin bestehenden drei Filialen in Essen und Düsseldorf zusammen brachten. »Da habe ich gesagt,
ich mache jetzt Schuhe. Habe die Geschwister ausgezahlt, die Mutter blieb bei mir.«
Das neue Leben begann mit einem erbitterten Konflikt. Deichmann gehörte einer Einkaufsvereinigung an, dessen Chef einen tief
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