Gruene Armee Fraktion
die sich an diese Lektion erinnern.«
»Dann müssten sie allerdings auch wissen, dass die Gewalt keine Einbahnstraße geblieben ist. Die Polizisten haben die Steine irgendwann zurückgeschmissen. Und damals ging das los, dass sie wie Ritter gepanzert wurden und Wasserwerfer bekamen, deren Strahlen richtige Geschosse waren. Der Staat hat ja aufgerüstet, Schlag auf Schlag, und die Gesetze verschärft.«
»Kein Wunder, dass sich militante Gruppen gebildet haben.«
»Sicher nicht, das hat sich gegenseitig hochgeschaukelt. Aber die Gewalt hat auch die Szene selbst verändert. Das habe ich später erlebt, als ich als Gymnasiast dort rumvagabundiert bin. Manche Leute sind auf den Geschmack der Macht gekommen, die von einem Stein in der Hand ausgeht. Andere fanden es sogar richtig cool, mit einem Leben als Guerillero im Untergrund zu kokettieren. ›Gefühl und Härte‹, das war damals so ein Slogan, der in Kreuzberg an den Hauswänden stand …«
»Den kann man heute wieder in manchen Vierteln finden«, warf Ricarda Walde ein.
»… übrig geblieben ist allerdings, glaube ich, mehr Härte als Gefühl. Je brutaler der Staat, desto radikaler die Szene. Anfangs hat Fritz Teufel mit den Umherschweifenden Haschrebellen auf der Straße getanzt, das war noch witzig. Später gehörte er zur Bewegung 2. Juni, die eiskalt einen hohen Richter umlegte. Das Ganze wurde doch eine Spirale der Gewalt, bis wir die RAF hatten. Die Hinrichtung von Schleyer, die Erschießung von Ponto, die Ermordung von Buback. Und die klammheimliche Freude darüber, die noch heute in Ihrer Wohnung hängt.«
»Haben Sie die denn nie gespürt?«
Mondrian wich ihrem Blick aus und schaute quer über die Straße. »Doch, ein bisschen schon, wenn ich ehrlich bin. Wie viele damals, die links waren oder sich dafür hielten. Später bin ich darüber selbst erschrocken. Allein die kalte Sprache der Kommandoerklärungen, genau wie heute bei den Bekennerbriefen der Grünen Armee Fraktion.«
Sie setzte an, etwas zu sagen, hielt dann aber inne, als er fortfuhr.
»Ich war noch sehr jung damals, und natürlich haben wir alle von einer besseren Welt geträumt.«
»Was ist aus Ihrem Bruder geworden?«
»Bennie? Hat damals sein Studium geschmissen und ist nach Nicaragua gefahren, zu einer Arbeitsbrigade bei den Campesinos. Ist nie wieder zurückgekommen …«
»Wieso?«
»Verschollen.«
Sie sah, wie er schluckte, und schwieg, bis seine Züge wieder zur Ruhe gekommen waren.
Dann sagte sie: »Und was haben Sie für die bessere Welt getan? Sind Sie bei Demos in der ersten Reihe marschiert? Haben Sie flammende Reden gehalten? Nächtelang Flugblätter gedruckt?«
»Nein, so romantisch war ich nicht.« Er fuhr sich über die Bartstoppeln. »Natürlich hab ich damals bei allen möglichen Aktionen mitgemacht, erst als Pennäler, später als Student. Aber ich wollte nie derjenige sein, der vorn steht, im Rampenlicht. Schon in der Schule habe ich mich niemals in die erste Reihe gesetzt. Lieber nach hinten, wo die ganze Arena vor mir lag. Vielleicht bin ich deswegen Reporter geworden, weil ich gern beobachte. Ich wollte nie Täter sein, sondern Chronist.«
»Also bloß nicht einmischen? Immer schön raushalten? Ist es das, was Sie meinen?« In ihrer Stimme keimte Angriffslust auf. »Aber Sie mischen sich doch auch als Journalist ein. Sie wählen Ihren Stoff aus. Sie bringen das, was Sie für wichtig halten. Auf eine Art, die Ihrem Chefredakteur und Ihrem Blatt passt. Das Ganze umgeben von teurer Werbung. Und Sie selbst sind ein Rad in diesem Getriebe, das prima funktioniert.«
»Ja, klar, ich funktioniere prima«, wiederholte er gereizt, während seine Adern an den Schläfen anschwollen, »und falls Sie das auch noch wissen wollen, einen Stein habe ich nur ein einziges Mal geworfen. Und gesehen, wie ein Polizist umfiel, als er ihn am Kopf traf. Der Rettungswagen fuhr mit Blaulicht ab, und am nächsten Tag stand in der Zeitung, dass ein Beamter mit einer schweren Verletzung in eine Klinik eingeliefert worden sei. Ich hab mich nie getraut nachzuforschen, was aus ihm geworden ist.«
Er nippte an seiner Tasse, die längst leer war.
»Ach, das hört sich alles so furchtbar vernünftig an.« Ricarda Walde schaute in die Dämmerung, die sich in die Straßenschlucht senkte. »Vielleicht sind manchmal eben Opfer nötig, wenn es um einen Traum geht. Um eine große Sache …«
»Wie groß? Und wie viele Opfer?«, unterbrach er sie ungeduldig. »Die RAF hat
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