Gruene Armee Fraktion
vierunddreißig Menschen getötet. Die Grüne Armee Fraktion ist schon bei mindestens achtzehn angekommen. Wie viele Leichen kann man in Kauf nehmen, wenn man die Welt retten will?«
»Und wie viele Menschen krepieren durch die Atomstrahlung?«, hielt sie dagegen. »Wie viele werden bei dem ökologischen Holocaust sterben, der längst im Gang ist? Bei den kommenden Klimakriegen, wenn in Afrika oder in Asien um die letzten Ackerflächen gekämpft wird?« Ihre Stimme schwoll an wie die Zornesfalten auf ihrer Stirn. »Reden wir über Tausende? Zehntausende? Millionen? Mein Gott, da muss doch endlich was passieren, was die Leute aufschreien lässt!«
»Terroranschläge? Noch mehr Attentate?« Mondrian schaute ihr direkt in die Augen.
Ihr Blick hielt seinem mühelos stand. »Wenn die Welt am Abgrund steht, hat jeder ein Recht auf Widerstand«, sagte sie ohne eine Spur von Zweifel in der Stimme. »Die kommenden Generationen, das schwöre ich Ihnen, werden uns einmal vorwerfen, dass wir nicht radikal genug waren.«
Sie drücke ihre Zigarette aus, etwas heftiger als nötig. »Aber was geht hier eigentlich ab? Soll das ein Verhör werden?« Sie presste die Lippen zu einem Strich zusammen, dann lehnte sie sich zurück und sagte nichts mehr.
So lange, dass es ihm endlos vorkam.
Er betrachtete die Flamme der Kerze, die inzwischen vor ihnen auf dem Tisch in einem roten Glas brannte. Die Sonne war untergegangen, die Straße lag im Halbdunkel. Aus den Restaurants fiel ein schwacher Lichtschein in die Gesichter der Gäste, die draußen auf dem Bürgersteig ausharrten, obwohl die Abendkühle bereits zu spüren war. Durch die Scheiben konnte man in die Lokale schauen; aus den geöffneten Türen drang Gelächter von den gut besetzten Tischen, gemischt mit Musikfetzen.
»Wollen Sie trotzdem noch einen Drink?«, fragte er, als er das Schweigen nicht mehr aushielt, und winkte die Kellnerin heran.
Sie bestellte eine Mexican Colada mit Tequila, er einen Zombie.
»Eigentlich mag ich es manchmal, wenn sich zwei Leute gegenübersitzen und nichts reden«, sagte er und gab sich Mühe, zu lächeln. »Aber nicht unbedingt jetzt.«
Als die Cocktails vor ihnen standen, suchten beide den Blickkontakt. Und während sie die ersten Schlucke nahmen, kam es ihm vor, als würden sie einen Waffenstillstand testen.
»Also, wollen wir jetzt den Abend ruinieren und uns weiter belauern?«, hörte er sie fragen. »Ich will mir das jedenfalls nicht antun. Wenn Sie Lust haben, kommen Sie mit, ein bisschen Krach hören.«
Nachdem sie die Drinks geleert und gezahlt hatten, brauchten sie fünfzehn Minuten, bis sie an Lounges mit Plüschsesseln und Falafelbuden vorbei zu dem Musikclub am Heiligengeistfeld gelaufen waren. Im Vorraum baumelten Fußballtrikots aus aller Welt von der Decke, daneben entdeckte Mondrian das Straßenschild einer »Keith-Richards-Allee«, aber als sie einen Stempel auf den Handrücken gedrückt bekommen hatten und sich in den Hauptraum quetschten, sahen sie in der Schwärze fast überhaupt nichts mehr.
Bis plötzlich eine ganze Batterie von Scheinwerfern aufflammte. Sie tauchten einen DJ, der ein Shirt mit fluoreszierenden Schmetterlingen trug, in rotierende Lichtkegel. Mit großen Kopfhörern stand er hinter einem Mischpult, bediente mit sparsamen Bewegungen die Regler und jagte pulsierende Rhythmen aus den Boxen, deren Bässe den Boden erbeben ließen.
Ricarda Walde stand direkt vor Mondrian, ihre Locken im Gegenlicht der tanzenden Strahler, aber es war aussichtslos, auch nur ein paar Worte auszutauschen. Die Klangkaskaden wummerten so gewaltig, dass er das Gefühl bekam, sein Gehirn würde von den Schallwellen vibrieren. Er wehrte sich nicht dagegen. Gut so, dachte er, vielleicht spült das den Kopf frei für ein paar klare Gedanken.
Wer war diese Frau? Auf diese Frage hatte er noch längst keine Antwort. Ein Gutmensch, der mit Gewalt nur kokettierte? Oder eine Menschenretterin auf einem wahnwitzigen Kreuzzug? Eine Schauspielerin, die tödliche Entschlossenheit hinter ihrer schönen Fassade verbarg?
Als er ihre Kontur im Lichtgewitter betrachtete, verschwand sie plötzlich mit einem Typen, den er schon am Abend vorher in der WG gesehen hatte. Mondrian zwängte sich durch das Gedränge an den Tresen, um sich ein Bier zu organisieren. Gedankenverloren starrte er nach ein paar Schlucken auf die Flasche, die mit dem Beat auf dem Tisch zitterte. Dann spürte er, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte.
»Nicht so
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