Gruene Armee Fraktion
dauerte eine kleine Ewigkeit, bis der Professor schließlich herauskam und wieder in seinen Wagen stieg. Dafür war er umso schneller, als er bei Gelb auf den Steintorwall bog.
Mondrian schoss bei Rot auf die Kreuzung. Aus den Augenwinkeln sah er Autoscheinwerfer von der Seite heranrasen. Er bremste scharf, kam knapp vor dem anderen Wagen zu stehen, setzte zurück und umkurvte ihn über den Bürgersteig. Zwei Passanten sprangen zur Seite und schrien hinter ihm her, doch er sah nur nach vorn. Suchte im Strom der Fahrzeuge nach den roten Jaguar-Augen. Er hatte sie verloren.
Fluchend trommelte er aufs Lenkrad. Entschied sich dann, wenigstens in die Richtung zu fahren, in der Brandtner verschwunden war. Doch nirgendwo sichtete er den Jaguar wieder, und er begriff, dass er so nicht weiterkam. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit. Er rollte an die Seite und rief die Auskunft an. Eine Frauenstimme nannte ihm Brandtners Festnetzanschluss und fragte dann unfreundlich, ob sie ihn verbinden sollte.
Er wählte die Nummer lieber selbst.
Nimm schon ab, dachte er. Keine Sprachbox. Der Rufton lief immer weiter.
»Ja?« Endlich seine Stimme. Brüchig und matt, nicht mehr der flammende Redner aus dem Audimax.
»Wir kennen uns«, sagte Mondrian, »aus der Ferne. Ich bin der Reporter, der Ricarda beim Kongress angesprochen hat …«
»Der Kerl, der mich eben verfolgt hat? Denken Sie, ich würde so was nicht mitkriegen?«
Mondrian ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen …«
»Kein Interesse«, unterbrach ihn Brandtner schroff.
»Könnte aber wichtig sein«, gab Mondrian zurück, »auch für Sie. Zum Beispiel müssten wir über den Termin reden, den Sie gerade hinter sich haben.«
»Welchen Termin?«
»Ihren Besuch beim Verfassungsschutz.«
Schweigen. Mondrian konnte förmlich spüren, wie Brandtner mit sich kämpfte.
»Also gut«, sagte die Greisenstimme schließlich müde, »kommen Sie vorbei. In einer Stunde.« Er nannte ihm eine Adresse in Eppendorf.
Es war schon kurz vor Mitternacht, als Mondrian langsam an dem vierstöckigen Haus vorbeifuhr und parkte. Das Gebäude aus der Gründerzeit war fast vollkommen dunkel, nur im zweiten Stock brannte Licht. Das musste Brandtners Wohnung sein. Mondrian drückte den Knopf auf der Klingeltafel aus Messing. Keine Antwort aus der Sprechanlage, auch kein Summton vom Öffner. Doch das Portal ließ sich aufdrücken, und Mondrian trat in den Hausflur. Im Dunkel ertönte ein Klicken, die Zeituhr der Beleuchtung sprang an. Der dicke Teppich auf den Treppenstufen schluckte seine Schritte. Umso lauter knarrte die Wohnungstür, die nur angelehnt war.
»Hallo«, rief er vorsichtig in die Wohnung, »Herr Brandtner?«
Nur der dumpfe Ton eines Fernsehgeräts aus der Nachbarwohnung.
Mondrian machte ein paar Schritte in die Diele, blickte in ein Zimmer voller Bücher.
»Herr Brandtner?«
Er ging ein Stück weiter, langsam, peilte um eine Ecke.
Ullrich Brandtner lag gekrümmt auf dem Marmorboden, über dem Kopf eine Plastiktüte, um den Hals eine zugezogene und verknotete Schnur. Die Augen starrten durch den milchigen Kunststoff ins Leere. Der Mund war grotesk aufgerissen vom Versuch, nach Luft zu schnappen. Ein qualvoller Tod.
Neben dem leblosen Körper surrte ein Computer auf einem Schreibtisch mit einer Rosa-Luxemburg-Büste. Im Drucker entdeckte Mondrian ein Blatt mit einer einzigen Zeile.
»Ich schäme mich für das, was ich getan habe. U.B.«
Keine Kampfspuren. Keine umgerissenen Stühle, zerbrochenen Gläser oder Blutspritzer. Alles sah so aus, als hätte Brandtner seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.
Schnell schoss Mondrian mit seinem Handy ein Foto des Toten und brannte sich das Bild des Schauplatzes ins Gedächtnis, so gut er konnte. Er rührte nichts an und achtete peinlich darauf, keine Spuren zu hinterlassen. Denn natürlich würde es Ermittlungen geben, wie bei jedem unnatürlichen Todesfall.
Ein Tag, der schwarz begonnen und noch schwärzer geendet hatte, grübelte er, als er aus dem Haus schlich.
Hatte er den Professor durch seinen Anruf so unter Druck gesetzt, dass er keinen Ausweg mehr wusste? Weil aufzufliegen drohte, dass er mit dem Geheimdienst kooperierte? Oder hatten die Kapuzenträger seinen Verrat, seine Verbindung zum Verfassungsschutz, entdeckt, ihm das Lebenslicht ausgeblasen und einen Selbstmord vorgetäuscht?
Auch nach drei Gläsern Vinho Verde und ein paar Fados aus dem Player lief
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