Gruene Armee Fraktion
lehnte sich seufzend zurück und malte sich aus, wie er zu Hause auf einem Kelim lag, weit weg von Ricarda und ihren Rätseln, seine Gitarre im Anschlag, um ein paar Riffs in die Saiten zu hauen. Als Jugendlicher hatte er mal in einer Rockband gespielt, viel zu schlecht, um von einer Karriere als Musiker zu träumen. Dafür gab es andere Götter, Hendrix zu Beispiel, Clapton oder Keith Richards. Er griff nach der CD mit Stones-Klassikern, schob die Scheibe in den Player, gab Saft auf die Boxen und schloss die Augen.
»You’re not the only one
with mixed emotions
you’re not the only ship
adrift on this ocean.«
Hinten flog eine Tür auf. Ein Mann tauchte in den Wagen und duckte sich sofort, während Ricarda auf der anderen Seite hineinsprang.
»Los! Schnell weg hier!«, keuchte sie.
Ohne zu überlegen, startete Mondrian den Wagen und beschleunigte. Nach mehreren Kurven hatte er eine Hauptstraße erreicht. Im Rückspiegel sah er, wie der Mann langsam hochkam. Mondrian fragte sich einen Moment, ob er im Kino war. Hinten saß Johnny Depp. Oder wenigstens dessen Klon. Die gleichen langen Haare, der gleiche Schnäuzer, der gleiche listige Blick wie Captain Jack Sparrow. Er legte den Arm um Ricarda, als ob sie eine alte Eroberung von ihm wäre, und gab ihr einen heftigen Kuss.
»Darf ich vorstellen, das ist Jean-Claude, ein guter Freund«, sagte sie, immer noch etwas atemlos.
»Bonjour« , sagte der Mann und fragte dann Ricarda: »Und wer ist der da vorn?«
»Jonas, ein Journalist von einem Magazin aus Hamburg.«
»Was? Einer von der Schweinepresse?« Unverkennbar französischer Akzent, und auch der verächtliche Ton war nicht zu überhören.
»Ich kann auch anhalten«, sagte Mondrian scharf und stieg auf die Bremse. Der Wagen stoppte abrupt. Mit einem wütenden Blick drehte er sich zu Ricarda um. »Sag mal, was ist das denn für eine Nummer? Was läuft hier eigentlich?«
»Merci beaucoup« , sagte Jean-Claude, stieß die Tür auf und zog Ricarda hinter sich her. Nach wenigen Metern waren sie auf einem Bürgersteig im Gedränge verschwunden.
Mondrian blieb perplex zurück. Holte tief Luft. Zog die Stirn in Falten, als er langsam wieder losfuhr, ohne zu wissen, wo er jetzt eigentlich hinwollte. Seine Gedanken überschlugen sich, bis er nach einer Weile wie mechanisch das Radio einschaltete und Kurznachrichten erwischte.
»… ist in Hamburg ein Häftling bei einer Ausführung gewaltsam befreit worden. Dabei wurde ein Justizbeamter schwer verletzt. Der Beamte hatte den Häftling aus der Vollzugsanstalt Fuhlsbüttel zu einer Bestattung auf dem Ohlsdorfer Friedhof begleitet. Er wurde offenbar mit einem Messer niedergestochen, dessen Herkunft zurzeit noch unklar ist. Der Beamte schwebt nach ersten Berichten in Lebensgefahr, der Häftling konnte mit Begleitern flüchten. Die Polizei sucht nach einem hellen Mittelklassewagen, der vor dem Friedhof geparkt haben soll …«
Mondrians Magen krampfte sich zusammen. Er ließ den Audi an den Straßenrand rollen und nahm fast gar nicht wahr, wie der Vorderreifen gegen die Bordsteinkante krachte. Er musste an die Luft. Ein paar Schritte in den Park gegenüber. Er wählte Bruno Wunders Redaktionsnummer.
»Sag mal, weißt du was Näheres über die Gefangenenbefreiung in Hamburg?«
»Nee. Wieso?«
Mondrian gab keine Antwort.
»Ich horch mal. Ich melde mich gleich.«
Nach zehn Minuten kam der Rückruf: »Also, der Häftling ist Franzose, dreiunddreißig Jahre alt, heißt Jean-Claude Chevalier. Jetzt wird nach ihm gefahndet. Er soll zu irgendeiner Anarchistengruppe gehören, kam im Zusammenhang mit den G-8-Protesten nach Deutschland, saß in Santa Fu wegen versuchten Mordes. Hat wohl mal bei Hamburg einen Brandsatz in das geparkte Auto eines Baulöwen geschmissen. Nur dass zufällig dessen Frau noch drinsaß.«
»Und wie kam er aus dem Knast nach Ohlsdorf?«
»Er hatte eine Ausführung, weil ein befreundeter Knacki dort beerdigt wurde.«
»Und der Beamte, der ihn begleitet hat?«
»Noch unklar, ob er durchkommt. Jedenfalls soll der Gefangene jemanden gehabt haben, der ihm geholfen hat. Aber weshalb interessiert dich das alles überhaupt?«
Wenn du wüsstest, Bruno. »Ach, das erzähl ich dir später.« Oder auch nicht. Aber wenigstens sollte er Daffner verständigen.
Er wählte die BKA-Nummer, aber nach dem ersten Signalton drückte er die rote Taste.
Das flaue Gefühl in ihm stieg hoch, bis seine Stirn brannte. Kein Zweifel, er hatte eine Grenze überschritten.
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