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Grüne Magie

Grüne Magie

Titel: Grüne Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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schrecklichsten jedoch war der Oger, der in den Sumpftiefen lauerte: ein gräßliches Ungeheuer mit langen Armen, einem flachen Gesicht und vier beinernen Auswölbungen auf dem Schädel. Einmal wäre ihm Ern fast zum Opfer gefallen. Der Oger versteckte sich unter den Wurzeln des Morastkrautes und sauste ihm plötzlich entgegen. Ern trat Wasser und schwamm eilig davon, und das Monstrum war so dicht hinter ihm, daß seine Krallen kurz über das eine Bein des Wasserkindes kratzten. Der Oger verfolgte ihn und gab dabei ein gurgelndes Brummen von sich. Kurz darauf wandte er sich jäh zur Seite, schnappte einen Spielkameraden Erns und sank auf den Grund herab, um seine Beute zu verschlingen.
    Nachdem Ern groß genug geworden war, um den Raubvögeln zu trotzen, hielt er sich immer häufiger an der Oberfläche auf, schnupperte Luft und bewunderte die Weite, die sich seinen Blicken offenbarte – obgleich er kaum etwas von dem verstand, was er sah. Der Himmel bestand aus grauem trüben Dunst und schien nur weiter draußen über dem Meer etwas heller zu sein. Er veränderte sich nie, abgesehen von kurzen Regenschauern und einigen Wolkenfetzen, die ein auflebender Wind dahinwehte. Ganz in der Nähe erstreckte sich der Sumpf: tiefe Morastzonen, Sandbänke und kleine Inseln, auf denen die fast farblosen Stengel von Schilf und Riedgras wuchsen, überaus zart wirkende schwarze Büsche und Sträucher, einige spindeldürre Dendriten. Jenseits davon begann die Zone der Dunkelheit. Wenn Ern in die andere Richtung blickte, übers Meer hinweg, so sah er in einiger Entfernung eine hohe Barriere aus Wolken und Regen, eine diffuse Masse, die ab und zu von zuckenden Blitzen erhellt wurde. Die Wand der Finsternis und der Sturmwall verliefen parallel zueinander und begrenzten die Welt Erns.
    Die größeren Wasserkinder spielten gern an der Oberfläche. Es gab zwei verschiedene Arten. Das typische Individuum war schlank und geschmeidig, hatte einen schmalen knochigen Kopf, einen einzelnen Schädelkamm und vorquellende Augen. Sein Temperament war wechselhaft: Es neigte zu jähem Zorn, und oftmals kam es zu plötzlichen Streitereien, die meistens ebenso rasch zu Ende gingen, wie sie entstanden. Der geschlechtliche Unterschied ließ sich nicht verkennen: Die eine Hälfte aller Wasserkinder war männlich, die andere weiblich.
    Im Gegensatz dazu stand eine Minderheit: die Wasserkinder, die zwei Schädelkämme besaßen. Sie waren größer, wiesen breitere Köpfe und weniger vorstehende Augen auf und zeichneten sich durch ein ruhigeres Wesen aus. Ihre geschlechtlichen Eigenheiten ließen sich nicht ohne weiteres bestimmen, und mit Mißbilligung begegneten sie den Possen der Wasserkinder, die nur einen Schädelkamm hatten.
    Ern ordnete sich der letzteren Gruppe zu, obwohl das Wachstum seines Kamms noch nicht abgeschlossen war. Er glaubte jedoch, breiter und stämmiger zu sein als die anderen. Seine sexuelle Entwicklung schritt nur langsam voran, aber er zweifelte nicht daran, männlichen Geschlechts zu sein.
    Die ältesten Kinder beider Gruppen beherrschten den Umgang mit einigen Mitteilungsfragmenten – Überlieferungen aus grauer Vorzeit. Als es soweit war, lernte Ern die Sprache, und anschließend fand er Gefallen an langen Diskussionen, bei denen es um Vorgänge in der Welt der Watten ging. Die Sturmgrenze mit dem unablässigen Leuchten der Blitze erwies sich immer als interessant, doch die Aufmerksamkeit der Wasserkinder galt in erster Linie dem Sumpf und dem höheren Terrain jenseits davon. Aufgrund der alten und von der Sprache übermittelten Traditionen wußten sie alle, daß dort ihr Schicksal auf sie wartete, in der Welt der ›Anderen‹.
    Gelegentlich konnten sie die ›Anderen‹ dabei beobachten, wie sie im Uferschlamm nach Plattfischen suchten oder die Schilfzonen durchstreiften und sich dabei auf eine Weise verhielten, die sehr sonderbar anmutete. Wenn das geschah, regten sich eigentümliche Gefühle in den Wasserkindern, und sie tauchten sofort. Nur die wagemutigsten Einkammigen blieben weiterhin an der Oberfläche (sie schwammen so, daß nur ihre Augen aus dem Wasser ragten) und beobachteten die seltsamen Aktivitäten an Land.
    Das Erscheinen von Anderen führte bei den Wasserkindern jedesmal zu angeregten Gesprächen. Die Einkammigen behaupteten, daß sie schließlich alle zu Anderen heranwüchsen und eines Tages die Watten verlassen und in die Welt der Trockenheit wechseln würden. Und das sei, meinten sie, sei ein Segen, ein Grund

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