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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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die größten Tomaten, Okraschoten und Kürbisse von der ganzen Stadt.«
    Mrs. Threadgoode lachte. »Buddy nannte unseren Garten ›Fischkopf-Paradies‹. Aber trotz ihrer Eigenheiten – in ganz Alabama gab’s keine bessere Köchin. Schon mit elf konnte sie angeblich die köstlichsten Brötchen backen und herrliche Saucen rühren. Ihr Obstkuchen war genauso himmlisch wie ihr Brathuhn mit weißen Rüben und schwarzgefleckten Erbsen. Und die Klöße – so leicht und locker, als würden sie durch die Luft fliegen, als müsste man sie erst einfangen, um sie zu essen. Die Rezepte, nach denen im Café gekocht wurde, stammten alle von ihr, und sie brachte Idgie und Ruth alles bei, was eine Köchin wissen muss.
    Ich weiß nicht, wieso Sipsey niemals eigene Kinder hatte. Keiner liebte Babys mehr als sie. Wenn die farbigen Frauen von Troutville ausgehen und sich amüsieren wollten, brachten alle ihre Kinder zu Sipsey und ließen sie über Nacht bei ihr. Sie wussten, da würden die Kleinen in guter Obhut sein. Sie sagte, nichts würde sie glücklicher machen, als ein Baby auf den Knien zu schaukeln. Manchmal sang sie so einem Baby oder zweien die ganze Nacht was vor und sehnte sich nach einem eigenen.
    Eines Nachmittags im November, ums Erntedankfest herum – später erzählte Momma, draußen habe es gefroren und alle Bäume seien kahl gewesen –, machte Sipsey grade oben die Betten, als eine ihrer Freundinnen von der Schwarzengemeinde in den Hinterhof rannte und nach ihr schrie. Aufgeregt berichtete sie, ein Mädchen aus Birmingham würde grade im Bahnhof ein Kind kriegen. Sipsey solle sich beeilen, denn der Zug würde jeden Moment weiterfahren.
    So schnell sie konnte, raste Sipsey die Treppe hinab, nur in einem dünnen Kleid mit Schürze. Als sie zur Hintertür hinausstürmte, rief Momma Threadgoode ihr nach, sie müsse einen Mantel anziehen. Aber sie erwiderte: ›Dazu habe ich keine Zeit, Miz Threadgoode, ich muss mich um dieses Baby kümmern.‹ Und weg war sie, wie der Blitz. Momma wartete auf der Veranda, und bald sah sie den Zug davonfahren. Sipsey kam zurück, grinste von einem Ohr bis zum anderen, die Beine blutig gekratzt, weil sie durch Dornengestrüpp gelaufen war. Und im Arm hielt sie ein kugelrundes schwarzes Baby, einen kleinen Jungen, in ein Handtuch mit der Aufschrift ›Hotel Dixie, Memphis, Tennessee‹ gewickelt. Sie erklärte, die junge Frau sei auf dem Heimweg gewesen und habe sich nicht mit einem Baby nach Hause gewagt, weil ihr Mann für drei Jahre im Gefängnis sitze.
    Den richtigen Namen des Babys erfuhren wir nie. Weil der Junge aus dem Zug gekommen war, nannte Sipsey ihn einfach George Pullman Peavey, nach dem Mann, der den Pullman-Waggon erfunden hat. Aber wer immer sein richtiger Daddy war, er muss ein großer Mann gewesen sein, denn George brachte es auf einsdreiundneunzig und zweihundertfünfzig Pfund.
    Als er noch klein war, nahm Poopa ihn in den Laden mit und bildete ihn zum Schlachter aus. Schon mit zehn schlachtete er Schweine, und Sipsey war so stolz auf ihn. Wäre er ihr eigenes Fleisch und Blut gewesen, sie hätte ihn nicht inniger lieben können. Oft umarmte sie ihn und sagte: ›Schätzchen, nur weil wir nicht verwandt sind, bedeutet das keineswegs, dass du nicht zu mir gehörst.‹
    Später, als man Big George den Prozess machte, zog sie sich täglich hübsch an und ging in den Gerichtssaal, bei Regen und Sonnenschein. Da war sie sicher schon fast neunzig. Natürlich kann man bei Farbigen nie das Alter schätzen.
    Immer sang sie ihre Gospels – ›In the Baggage Car Ahead‹ und ›I’m Going Home on the Morning Train‹. In der Nacht vor ihrem Tod erzählte sie George, sie habe Jesus im Traum gesehen, ganz in Weiß gekleidet. Er sei Schaffner in einem Geisterzug gewesen und gekommen, um sie in den Himmel zu holen.
    Ich wage sogar zu behaupten, dass sie immer noch im Café kochte, als sie schon weit über achtzig war. Deshalb kamen die meisten Gäste – wegen ihrer Kochkunst. Wegen der Einrichtung bestimmt nicht. Als Ruth und Idgie das Lokal kauften, war es nur ein großer alter Schuppen, gegenüber von den Bahngleisen, ein Stück vom Postamt entfernt, wo Dot Weems arbeitete.
    Ich erinnere mich gut an den Tag, wo sie im Café Einzug hielten. Wir halfen alle mit, und Sipsey fegte gerade den Boden, als sie sah, wie Ruth ihr Bild vom Letzten Abendmahl an die Wand hängte. Sipsey hörte zu fegen auf und studierte das Bild eine ganze Weile. Schließlich fragte sie: ›Miz Ruth, wer

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