Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
der Hintertür hing, alles um fünf oder zehn Cent billiger. Das fanden sie durchaus fair …
T HE W EEMS W EEKLY
(W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
6. April 1933
S PEISEKARTE IM C AFÉ GEÄNDERT
Die Gäste des Cafés waren ziemlich überrascht, als sie letzte Woche die Speisekarte lasen. Da gab es unter anderem: Opossumfilet, Iltisrippchen, Ziegenleber mit Zwiebeln, Ochsenfroschpudding und Truthahngeierpastete à la mode.
Ein argloses Ehepaar, das eigens zum Essen aus Gate City dahergekommen war, las die Speisekarte. Die beiden hatten schon fast den nächsten Häuserblock erreicht, als Idgie die Tür aufriss und ihnen nachschrie: »April! April!« Danach bestellten sie was von der richtigen Speisekarte und bekamen die Kokosnusscremetorte umsonst.
Übrigens, meine andere Hälfte ließ neulich einen seiner alten Jagdhunde ins Haus, mitsamt einem Knochen. Darüber stolperte ich, ob Sie’s glauben oder nicht, und brach mir den großen Zeh. Dr. Hadley bandagierte meinen Fuß, ich muss jetzt auch bei der Arbeit Hauspantoffeln tragen. Also kann ich nicht so rumlaufen und Neuigkeiten sammeln, wie ich’s gern täte. Wenn Sie irgendwas erfahren, kommen Sie doch bitte ins Postamt und geben Sie mir Bescheid.
Dot Weems
212 R HODES C IRCLE
B IRMINGHAM , A LABAMA
19. Januar 1986
Es war wieder Sonntag. Evelyn und Ed Couch machten sich bereit, zum Pflegeheim zu fahren. Sie schaltete die Kaffeemaschine aus und wünschte, sie müsste nicht mitkommen. Aber Ed war sehr empfindlich, wenn es um seine Momma ging. Sie würde ihrer weinerlichen, anspruchsvollen Schwiegermutter wenigstens guten Tag sagen müssen. Der Aufenthalt im Heim war jedes Mal eine Qual. Sie hasste den Geruch von Krankheiten, Lysol und Tod. Der erinnerte sie an ihre eigene Mutter, an Ärzte und Kliniken.
Mit vierzig hatte Evelyn ihre Mutter verloren, und seither wurde sie von Angst verfolgt. Wenn sie die Morgenzeitung las, schlug sie immer zuerst die Seite mit den Todesanzeigen auf, sogar noch bevor sie ihr Horoskop studierte. Sie atmete stets erleichtert auf, wenn die Verstorbenen über siebzig oder achtzig gewesen waren. Und sie liebte es, zu erfahren, dieser oder jener teure Verblichene sei über neunzig gewesen. Das gab ihr ein gewisses Sicherheitsgefühl. Aber wenn sie von Leuten las, die mit vierzig oder fünfzig das Zeitliche gesegnet hatten, verdarb ihr das den ganzen Tag, vor allem, wenn die Familie am Ende des Nachrufs bat, von Blumen abzusehen und stattdessen Spenden an die Krebshilfe zu schicken. Am schlimmsten war es, wenn die Todesursache nicht angegeben wurde.
Nach kurzer Krankheit – nach welcher?
Plötzlich verstorben – woran?
Was für ein Unfall?
Sie wollte über alle Einzelheiten informiert werden, schwarz auf weiß, und keine Mutmaßungen anstellen. Und sie hasste es, wenn die Hinterbliebenen um Spenden für den Tierschutzverein baten. Was bedeutete das? Tollwut? Maul- und Klauenseuche?
Aber in letzter Zeit profitierte hauptsächlich die Krebshilfe. Evelyn fragte sich, warum sie in einem Körper leben musste, der altern und zusammenklappen und Schmerzen empfinden würde. Warum nicht in einem großen, massiven Schreibtisch? Oder in einem Herd? Oder in einer Waschmaschine? Sie würde viel lieber einen gewöhnlichen Handwerker, zum Beispiel einen Elektriker oder Installateur, an sich herumfummeln lassen als einen Arzt.
Während ihrer ersten Wehen hatte ihr Frauenarzt, Dr. Clyde, dagestanden und ihr ins Gesicht gelogen. »Mrs. Couch, sobald Sie Ihr Baby sehen, werden Sie diese geringfügigen Schmerzen vergessen, also pressen Sie ein bisschen fester. Später werden Sie sich gar nicht mehr dran erinnern, glauben Sie mir.«
Falsch! Sie erinnerte sich haargenau an jede einzelne Wehe und hätte sich geweigert, ein zweites Kind zu gebären, wäre Ed nicht so versessen auf einen Sohn gewesen … Und dann wurde die zweite Lüge entlarvt: Die zweite Niederkunft tat genauso weh wie die erste, vielleicht noch mehr, weil sie wusste, womit sie rechnen musste. Neun Monate lang war sie wütend auf Ed, und danach bekam sie glücklicherweise Tommy, denn sie zog endgültig einen Schlussstrich.
Ihr Leben lang hatte sie sich vor Ärzten gefürchtet. Nun begegnete sie ihnen mit immer größerer Vorsicht, denn sie hasste, verabscheute und verachtete sie. Seit jenem Arzt, der an jenem Tag ins Krankenhauszimmer ihrer Mutter stolziert war, die Karteikarte in der Hand …
Dieser kleine Herrgott in seinem Polyesterkittel und den sündhaft teuren
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