Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
gaben ihnen Namen wie Mondstrahl oder Sonnenfeder.
Und wie wurde sie für ihren weitgehenden Verzicht auf Alkohol entlohnt? Sie hatte stets gehört, es gebe nichts Schrecklicheres als betrunkene Frauen, und sie hatte sich nie mehr gestattet als einen Whiskey Sour. Und jetzt strömte die ganze bessere Gesellschaft ins Betty Ford Center. Und wenn die Leute wieder herauskamen, ließen sie sich fotografieren, und eine Menge Partys wurden für sie gegeben. Sie fragte sich oft, ob Betty auch Frauen aufnehmen würde, die fünfundzwanzig Pfund abnehmen mussten.
Ihre Tochter hatte sie einmal an einer Marihuana-Zigarette ziehen lassen. Aber als lauter heiße Pfoten über die Theke zu ihr marschiert waren, hatte sie einen furchtbaren Schreck gekriegt und es nie wieder versucht. Dope kam also nicht in Frage.
Evelyn fragte sich, zu welcher Clique sie gehörte, wo sie hinpasste …
Vor etwa zehn Jahren hatte Ed sich mit einer Kollegin von der Versicherungsgesellschaft eingelassen, für die er arbeitete. Da war Evelyn zu einer Selbsthilfegruppe namens »Die vollkommene Frau« gegangen, um ihre Ehe zu retten. Ob sie Ed so sehr liebte, wusste sie nicht – jedenfalls genug, sodass sie ihn nicht verlieren wollte. Außerdem – was sollte sie ohne ihn tun? Sie lebte schon genauso lange mit ihm zusammen wie damals mit ihren Eltern. In der Organisation glaubte man, die Frauen könnten vollkommenes Glück finden, wenn sie sich ausschließlich der Aufgabe widmeten, ihren Mann glücklich zu machen. Die Gruppenleiterin erklärte, all die reichen, erfolgreichen Karrierefrauen, die so glücklich wirkten, seien in Wirklichkeit grässlich einsam, würden sich elend fühlen und die verheirateten Geschlechtsgenossinnen um deren schönes christliches Zuhause beneiden.
Es war eigentlich unvorstellbar, dass Barbara Walters für Ed auf sämtliche Vorteile verzichten würde, die das Leben einer unabhängigen, berufstätigen Frau ausmachten. Aber Evelyn tat ihr Bestes. Obwohl ihre Frömmigkeit zu wünschen übrigließ, tat es natürlich gut, zu wissen, wie entschieden die Bibel sie darin bestärkte, als Fußabstreifer zu fungieren. Hatte der Apostel Paulus nicht gesagt, Frauen dürften keine Macht über die Männer ausüben und müssten immer still sein?
Also hoffte sie, den richtigen Weg zu gehen, und begann die Leiter der »zehn Stufen zum vollkommenen Glück« emporzusteigen. Als Stufe eins hatte sie Ed halb nackt an der Haustür empfangen, nur in einen durchsichtigen Sari gehüllt. Ihr Mann war entsetzt über die Schwelle gesprungen und hatte die Tür hinter sich zugeworfen. »Jesus Christus, Evelyn! Wenn ich nun der Zeitungsjunge gewesen wäre? Bist du verrückt geworden?«
Sie hatte die Stufe zwei gar nicht erst ausprobiert – in ein Büro zu gehen, wie eine Prostituierte gekleidet.
Wenig später hatte sich Nadine Fingerhutt, die Gruppenleiterin, scheiden lassen und sich einen Job suchen müssen. Deshalb löste sich die Organisation allmählich auf. Nach einer Weile beendete Ed seine Liaison mit der anderen Frau, und alles kam wieder ins Lot.
Später, immer noch auf der Suche, bemühte sich Evelyn um eine Teilnahme an den Aktivitäten des Gemeinde-Frauenzentrums. Wofür sich die Damen einsetzten, gefiel ihr, aber sie wünschte insgeheim, sie würden wenigstens ein bisschen Lippenstift verwenden und ihre Beine rasieren. Sie selbst war die einzige im Zimmer mit vollständigem Make-up, Strumpfhose und Ohrringen. So gern wollte sie dazugehören, aber als eine Frau vorschlug, das nächste Mal sollten sie alle einen Spiegel mitbringen und ihre Vaginas studieren, ging Evelyn nie mehr hin. Ed meinte, diese Weiber seien lauter frustrierte alte Jungfern, viel zu hässlich, um Männer einzufangen. Nun saß sie also da, ungeeignet für gewisse Partys und zu verängstigt, um in ihre eigene Vagina zu schauen.
Als sie mit Ed ihr Klassentreffen besuchte, dreißig Jahre nach dem High-School-Abschluss, hoffte sie jemanden zu treffen, mit dem sie über ihre Gefühle reden konnte. Doch die anderen Frauen waren genauso verwirrt wie sie selber und klammerten sich an ihre Ehemänner und ihre Drinks, um nicht plötzlich unsichtbar zu werden. Diese Generation schien auf einem Zauntritt zu stehen und nicht zu wissen, wohin sie springen sollte.
Nach dem Klassentreffen schaute sie sich stundenlang alte Schulfotos an und fuhr immer wieder zu den Orten, wo sie früher gelebt hatte.
Ed war keine Hilfe. Neuerdings benahm er sich mehr und mehr wie ein Daddy, so wie
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