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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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weiter zur Red Top Bar mit dem Grill, über den Rainbow Viaduct, zum Melba Café, und wie durch einen Urinstinkt fand er die 4th Avenue North, wo sich die Hautfarbe plötzlich änderte. Da waren sie, die zwölf Häuserblocks, unter dem Namen Slagtown bekannt – Birminghams Harlem, der Ort, von dem er geträumt hatte.
    Paare schlenderten an ihm vorbei, schick herausgeputzt, lachten und unterhielten sich. Und er wurde vom Menschenstrom mitgerissen, wie die weiße Schaumkrone einer Welle. Aus allen Türen und Fenstern drang Musik, Lichtfluten ergossen sich über Treppen zur Straße herab. Aus einer oberen Etage tönte Bessie Smiths klagende Stimme. »Oh, carelesse Love … Oh, careless Love …«
    Heißer Jazz und Blues verschmolzen, als er am Frolic Theater vorbeikam, das den Ruhm des besten Schwarzentheaters in den Südstaaten beanspruchte und nur Musicals und Komödien zeigte.
    Und die Leute zogen weiter. Irgendwo stellte Ethel Waters die musikalische Frage: »What did I do to be so black and blue?« Aus der nächsten Tür schrie Ma Rainey: »Hey, Jailor, tell me what have I done?« Und im Silver Moon Blue Note Club tanzte man Shimmy zu Art Tatums »Red Hot Pepper Stomp«.
    Endlich war Artis hier – in Slagtown an einem Samstagabend. Und nur ein paar Blocks entfernt ahnte das weiße Birmingham nichts von der Existenz dieses exotischen Viertels, wo eine Frau, die nachmittags noch ein Dienstmädchen war, am selben Abend die Königin von der Highland Avenue werden konnte, wo Gepäckträger und Schuhputzer zu den Anführern der Modeschau nach Einbruch der Dunkelheit avancierten. Mit glänzendem, glattem schwarzem Lackhaar und Goldzähnen, die unter bunten Lichterreklamen gleißten. Schwarze, Braune, Zimtfarbene, Mischlinge mit einem Achtel Schwarzenblut und Rote drängten Artis die Straße hinab, alle in hellgrünen oder violetten Anzügen und braun-beigen Schuhen, mit dünnen weiß-roten Seidenkrawatten. Und die Damen mit leuchtend kastanien- oder orangeroten Lippen und schwingenden Hüften promenierten in Pumps und Fuchspelz dahin.
    Lichter blinkten ihn an. »Billardsalon der magischen Stadt für Gentlemen; St. James Grill; Blue Heaven Bar-b-cue; Alma-Mae-Jones-Schule für Schönheitskultur …« Und dann vorbei am Champion Theater, »wo das Glück so wenig kostet, nur zehn Cent …« Zwei Türen weiter sah er durch das Fenster des »Ballsaals für Schwarz und Braun« Paare tanzen. Bernsteingelbe Scheinwerfer kreisten und tauchten die Leute immer wieder in bleichen Glanz. Er bog um eine Ecke, wurde immer schneller mitgerissen, eine dichtbevölkerte Straße hinab, vorbei an einer Börse für gebrauchte Kleidung, am Little Delilah Café, am Pandora Billardsalon, an der Stars Cocktail Lounge, am Pastime Theater, wo diese Woche Edna Mae Harris in einer »Revue aller Farben« auftrat. Nebenan, im Grand Theater, brillierten Mary Marble und Little Chips. Er ging zum Little Savoy Café, an weiteren Tanzpaaren vorbei, deren Silhouetten sich hinter den Fenstern des Ballsaals vom Hotel Dixie Carlton abzeichneten. Dort schoss eine große rotierende Kugel aus lauter kleinen Spiegeln Silberfunken nach allen Seiten. Die Leute, die da drin Foxtrott tanzten, merkten nichts von dem schwarzen Jungen im Overall mit den großen, staunenden Augen, der am Busy Bee Barbecue Shop vorbeigeschleust wurde. Da bot man »rund um die Uhr elektrisch gebackene Waffeln« an, »Ihren Lieblings-Sandwichtoast«, den »besten Kaffee in der Stadt«, hausgemachte Chilis, Hamburger, Schweinefleisch, Schinken, Sandwiches mit Schweizer Käse, »alles für zehn Cent«. Vorbei an der Viola Crumbely Over the Rainbow-Versicherungsgesellschaft, spezialisiert auf Begräbnispolicen, mit einem Schild im Schaufenster, das die potenzielle Kundschaft aufforderte: »Werden Sie reich, solange Sie noch jung sind«, dann weiter zum De Luxe Hotel für Gentlemen.
    Nach dem Casino Club im Masonic Temple kreischte plötzlich eine vollbusige Schönheit hinter Artis, todschick in einem maisgelben Satinkleid mit zitronengelber Federboa, schlug mit ihrer Handtasche nach einem leichtfüßigen Gentleman und verfehlte ihn. Er lachte, und Artis lachte auch, während er sich von der Menschenmenge weitertreiben ließ. Er wusste, dass er endlich zu Hause war.

S LAGTOWN N EWS – S TRANDGUT & T REIBGUT
    (B IRMINGHAMS S EPIAZEITUNG ) VON M R . M ILTON J AMES
    6. Mai 1937
    Am späten Samstagabend wurde Mr. Artis O. Peavey ins University Hospital eingeliefert. Er litt an zahlreichen

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