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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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aber was sollte ich machen? Ich konnte unmöglich aufhören, mitten in dieser Glückssträhne, das gehört sich nicht. Je mehr ich gewann, desto wütender wurde er, und schließlich legte er seinen Revolver auf den Tisch und erklärte, den nächsten, der ihm ein schlechtes Blatt gab, würde er erschießen.«
    Inzwischen war Stump restlos fasziniert. »Und wer teilte die Karten aus?«
    »Das ist ja das Komische – er vergaß, dass er dran war, und gab sich selber zwei Zweier. Also richtete er die Waffe auf seine Stirn und erschoss sich, direkt am Tisch. Ein Mann, ein Wort – bis zum bitteren Ende.«
    »Wow! Und du hast es gesehen?«
    »Klar. Es waren wirklich nur zwei Zweier.«
    Stump dachte darüber nach, als er etwas entdeckte, das neben den Gleisen aus dem Schnee ragte. Er lief hin und hob es auf. »Schau, Tante Idgie, eine Dose Deer-Brand-Sauerkraut! Sie ist ungeöffnet.« Plötzlich erstarrte er, wie vom Donner gerührt, dann hielt er die Dose ehrfürchtig hoch und wisperte: »Tante Idgie, ich wette, Railroad Bill hat sie aus dem Zug geworfen. Glaubst du das auch?«
    Sie inspizierte die Dose. »Das wäre sehr gut möglich, mein Junge. Stell sie wieder dahin, wo du sie gefunden hast, für die Leute, denen sie zugedacht ist.«
    Sorgfältig und behutsam deponierte Stump die Dose neben den Schienen, als wäre sie eine kostbare Reliquie. »Wow!« Der erste Schnee seines Lebens und jetzt auch noch eine Konserve, die von Railroad Bill stammen konnte – das war fast zu viel auf einmal.
    Sie gingen weiter, und nach ein paar Minuten fragte er: »Railroad Bill ist sicher der tapferste Mann, der je gelebt hat, nicht wahr, Tante Idgie?«
    »Nun, jedenfalls ist er sehr tapfer.«
    »Glaubst du, er ist der tapferste aller Männer, von denen wir in unserem Leben hören werden?«
    Sie überlegte. »Also, ich würde nicht sagen, dass er der tapferste ist, den ich kenne. Einer der tapfersten, nicht der tapferste.«
    Stump blinzelte verdutzt. »Wer könnte tapferer sein als Railroad Bill?«
    »Big George.«
    »Unser Big George?«
    »Ja.«
    »Was hat er denn getan?«
    »Zum Beispiel wäre ich nicht hier, wenn es ihn nicht gäbe.«
    »Du meinst – heute?«
    »Nein, ich meine – überhaupt. Ohne ihn hätten mich die Schweine gefressen.«
    »Im Ernst?«
    »Natürlich. Ich war zwei oder drei Jahre alt und hing mit Buddy und Julian bei den Schweinepferchen rum. Und als ich über den Zaun kletterte, fiel ich direkt in den Trog.«
    »Wirklich?«
    »Oh ja. Alle Schweine rannten zu mir. Und du weißt ja, dass ein Schwein alles frisst. Angeblich haben sie schon viele Babys verschlungen.«
    »Tatsächlich?«
    »Klar. Also, ich hüpfte aus dem Trog und rannte weg, aber ich fiel hin, und beinahe erwischten sie mich. Da sah mich Big George und sprang in den Pferch mitten zwischen die Schweine und warf sie weg. Du musst bedenken, dass so ein Biest etwa dreihundert Pfund schwer war. Er packte eins nach dem anderen, und er schleuderte sie alle beiseite, als wären es Kartoffelsäcke. Und er hielt sie mir lange genug vom Leib, bis Buddy unter dem Zaun hindurchkroch und mich hinauszog.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Hast du schon mal die Narben auf Big Georges Armen bemerkt?«
    »Ja.«
    »Nun, die stammen von Schweinebissen. Aber zu Poppa sagte er nie ein Wort darüber, denn er wusste, der würde Buddy umbringen, weil er mich zu den Schweinepferchen mitgenommen hatte.«
    »Das höre ich zum ersten Mal.«
    »Kann ich mir denken.«
    »Wow … Kennst du noch andere tapfere Leute? Wie ist es denn mit Onkel Julian, der letzte Woche diesen Zwölfender erlegt hat? Da gehört doch auch viel Mut dazu.«
    »Es gibt mehrere Arten von Mut. Um ein armes dummes Tier mit einer zwanzigkalibrigen Schrotflinte zu erschießen, muss man nicht besonders tapfer sein.«
    »Und welche tapferen Leute kennst du außer Big George?«
    »Mal sehen«, erwiderte Idgie nachdenklich. »Außer Big George – nun, ich würde sagen, deine Mutter zählt zu den tapfersten Menschen, die ich kenne.«
    »Momma?«
    »Ja, deine Momma.«
    »Oh, das glaube ich nicht. Sie fürchtet sich doch ständig, sogar vor kleinen Käfern. Was hat sie denn je getan?«
    »Einmal hat sie was getan.«
    »Was?«
    »Das spielt keine Rolle. Du hast gefragt, und ich hab’s dir gesagt. Deine Mutter und Big George sind die zwei tapfersten Personen, die ich kenne.«
    »Tatsächlich?«
    »Ich schwör’s dir.«
    Stump war verblüfft. »Also, ich …«
    »Es stimmt. Und du sollst dir noch was vor Augen führen, mein

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