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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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zu imitieren. »Wenn du mich hörst, läufst du sofort raus. Sei um fünf fertig. Ich möchte rechtzeitig am Bahnhof sein, falls der Zug früher da ist.«
    Am nächsten Morgen wartete Peggy bereits, gestiefelt und gespornt, neben dem Baum, was Stump ärgerte, denn er hätte ihr gern das Vogelsignal gegeben. Diese Idee hatte er einem Buch entnommen, das er gerade las. »Das Mordgeheimnis des sprechenden Sperlings«. Fast die ganze Nacht war er wach gewesen, um den Pfiff zu üben – das heißt, nur so lange, bis Idgie gedroht hatte, ihn umzubringen, wenn er nicht still sei.
    Dies war das erste, was bei dem ganzen Plan schiefging. Das zweite war die einstündige Verspätung des Zuges. Nun warteten sie schon seit drei Stunden am Bahnhof. Hundertmal nahm Stump den Film aus der Kamera und legte ihn wieder ein, nur um sicherzugehen, dass das Ding auch wirklich funktionieren würde.
    Endlich rumpelte der lange schwarze Zug in die Station und stoppte. Grady und vier Bahnangestellte verließen das Weichenstellerhäuschen, öffneten einen Frachtwaggon und hoben den großen weißen Kiefernholzsarg heraus, in dem Mr. Pinto auf Staatskosten transportiert wurde.
    Der Zug ratterte davon. Und der Sarg stand auf der Laderampe, während die Männer davongingen, um den anderen Zug hereinzulotsen. Grady hielt Wache und tat sehr wichtig in seiner Khakiuniform, die ledernen Revolverhalfter an der Seite. Er sah Stump und Peggy über den Bahnsteig heranlaufen und rief: »Hi, Kids!« Dann gab er dem Sarg einen Tritt. »Da ist er, so wie ich’s Idgie gesagt habe. Mr. Seymore Pinto in Lebensgröße – oder eher in Leichengröße.«
    Stump fragte, ob er ein paar Fotos knipsen dürfe.
    »Klar, mach nur.«
    Aus allen möglichen Blickwinkeln fotografierte Stump den Sarg, während Grady von den Zeiten erzählte, wo er Wärter im Kilbey-Gefängnis in Atmore, Alabama, gewesen war. Peggy, der die Aufgabe oblag, weitere Filme bereitzuhalten, fragte ihn, ob er richtige Mörder gesehen habe.
    »Oh ja, viele. Ein paar arbeiteten sogar für mich und Gladys oben im Haus, als wir in Atmore wohnten.«
    »Sie hatten echte Mörder in Ihrem Haus?«
    Erstaunt hob er die Brauen. »Natürlich – warum nicht? Unter den Mördern gibt’s die großartigsten Leute.« Er schob sich den Hut aus der Stirn. »Für einen Dieb würde ich keine fünf Cent geben. Aber ein Mord – so was tut jeder meistens nur ein einziges Mal, oft wegen einer Frau. Dieses Verbrechen wiederholt sich nur selten. Aber ein Dieb bleibt ein Dieb, bis zu seinem letzten Atemzug.«
    Stump verknipste schon den zweiten Film, und Grady setzte sein Gespräch mit der hingerissenen Peggy fort. »Nein, ich habe nichts gegen Mörder, viele sind ganz sanfte, angenehme Menschen.«
    Während die Kamera eifrig klickte, warf Stump eine Frage ein: »Haben Sie mal gesehen, wie jemand auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde, Grady?«
    Der Mann lachte. »Etwa dreihundert Mal. Also, das ist wirklich ein toller Anblick. Bevor sie in die große gelbe Momma gesetzt werden, rasiert man sie alle ratzekahl wie Billardkugeln. Kein Haar bleibt an ihren Körpern, und sie sind so aalglatt wie am Tag ihrer Geburt. Dann taucht man Schwämme in kaltes Salzwasser und schiebt sie unter den Helm des Stuhls. Durch das Wasser wird der elektrische Strom schneller weitergeleitet. Als ich das letzte Mal einen schmoren sah, klappte es erst nach sieben Versuchen. Alle Leute in Atmore waren wütend, weil diese Hinrichtungen die Stromversorgung in der Stadt beeinträchtigten und die Radiosendungen versauten. Zum Schluss sticht der Doktor mit einer Nadel ins Herz des Typen, um festzustellen, ob der auch richtig tot ist …« Grady schaute auf seine Uhr. »Warum, zum Teufel, brauchen die so lange? Ich gehe mal rüber und schaue nach, was sie treiben.« Und er ließ die Kinder mit dem Sarg allein.
    Stump verlor keine Zeit. »Hilf mir, den Deckel runterzuheben. Ich will sein Gesicht fotografieren.«
    Peggy war entsetzt. »Mit so was spielt man nicht. Das ist eine Leiche. Und man muss die Toten ehren.«
    »Nein, in dem Fall nicht, weil er ein Verbrecher ist. Geh eben weg, wenn du ihn nicht sehen willst.«
    Stump öffnete den Sarg, und Peggy verschanzte sich hinter einem Pfosten. »Du wirst Ärger kriegen!«
    Nachdem er den Deckel entfernt hatte, starrte er in den Sarg. »Komm her!«
    »Nein, ich fürchte mich.«
    »Komm schon! Man sieht gar nichts, weil ein Leichentuch drüberliegt.«
    Peggy kam näher und spähte vorsichtig auf die

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