Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
die jetzt am Stadtrand wohnte, sah so aus wie Frank. Die Frau stellte keine Ansprüche mehr an ihn, nachdem er ihr ein Auge blau geschlagen und das Kind bedroht hatte. Frauen mit gewissen Erfahrungen interessierten ihn offensichtlich nicht. Schon gar nicht, wenn sie diese Erfahrungen mit ihm gesammelt hatten.
Aber in der Stadt galt er als netter, munterer Junge. Und er beschloss, zu heiraten und Söhne zu zeugen, um den Namen Bennett zu erhalten – einen Namen, der niemandem etwas bedeutete, abgesehen von der Tatsache, dass dieser Bennett im Süden von Valdosta ein großes Stück Land besaß.
Ruth war jung, hübsch und ganz sicher unberührt. Und sie brauchte ein Dach überm Kopf, für sich selbst und ihre Mutter. Wer würde sich besser zur künftigen Mrs. Bennett eignen? Ruth konnte nicht anders – sie fühlte sich geschmeichelt. War er nicht die beste Partie weit und breit? Hatte er sie nicht wie ein Gentleman umworben und die Mutter bezaubert?
Weil sie ernsthaft von der Liebe des attraktiven jungen Mannes überzeugt war, glaubte sie, ihn ebenfalls lieben zu müssen. Und deshalb liebte sie ihn.
Aber wer sollte auch nur ahnen, dass die blitzblanken Schuhe und die eleganten dreiteiligen Anzüge niemals die Bitterkeit verbergen konnten, die während all der Jahre in seinem Herzen gewachsen war?
Niemand in der Stadt kam auf solche Gedanken. Dazu bedurfte es eines Fremden. Vor seiner Junggesellenparty ging Frank mit mehreren Freunden in eine Bar auf ein paar Drinks. Sie waren unterwegs zu einer Hütte, wo drei Huren aus Atlanta warteten, für die ganze Nacht gemietet. Ein alter Tramp kam ins Lokal und beobachtete die jungen Männer vom anderen Ende des Raumes aus. Frank behandelte ihn so wie alle Fremden. Er schlenderte zu dem Landstreicher, der offenkundig einen Drink brauchte, und schlug ihm auf den Rücken. »Hören Sie, Oldtimer, wenn Sie erraten, welches meiner Augen aus Glas ist, spendiere ich Ihnen was zu trinken.«
Seine Freunde lachten, denn das konnte man unmöglich erkennen. Aber der Alte schaute ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Das linke.«
Die Freunde jubelten, und Frank war leicht pikiert, aber dann grinste er, nahm es als gutes Omen und warf einen halben Dollar auf die Theke.
Der Barkeeper hatte die Szene verfolgt. Nun fragte er den Tramp: »Was darf’s sein, Mister?«
»Whiskey.«
Der Drink wurde eingeschenkt, und etwas später erkundigte sich der Barkeeper. »He, alter Freund, wieso wussten Sie sofort, dass das linke Auge aus Glas ist?«
Der Alte nippte an seinem Whiskey. »Ganz einfach. Ich sah nur im linken einen Anflug von Menschlichkeit.«
V ALDOSTA , G EORGIA
28. April 1926
Idgie – mittlerweile neunzehn – war in den letzten zweieinhalb Jahren fast jeden Monat nach Valdosta gefahren, um Ruth aus der Kirche kommen zu sehen. Sie wollte sich einfach nur vergewissern, dass es der geliebten Freundin gut ging, und Ruth merkte nichts davon.
Eines Sonntags – sie wusste selbst nicht, warum – fuhr Idgie zu Ruths Haus und klopfte an die Tür. Lächelnd erschien die gebrechliche Mutter. »Ja?«
»Ist Ruth daheim?«
»Sie ist oben.«
»Würden Sie ihr bitte sagen, eine Bienenverführerin aus Alabama möchte sie besuchen.«
»Wer?«
»Richten Sie ihr einfach nur aus, eine Freundin aus Alabama sei da.«
»Oh, möchten Sie nicht hereinkommen?«
»Nein, danke, ich warte lieber draußen.«
Die Mutter ging in die Halle und rief die Treppe hinauf: »Ruth, da ist irgendein Bienenmädchen aus Alabama!«
»Was?«
»Auf der Veranda wartet ein Besuch für dich.«
Als Ruth herunterkam, war sie völlig verblüfft. Sie betrat die Veranda, und Idgie versuchte in beiläufigem Ton zu sprechen, obwohl ihre Handflächen schwitzten und ihre Ohren brannten. »Hör mal, ich möchte dich nicht belästigen. Wahrscheinlich bist du glücklich und so … Das heißt, daran zweifle ich kein bisschen. Aber – ich wollte dir nur sagen, dass ich dich nicht hasse und nie gehasst habe, und ich wünsche mir immer noch, du würdest zurückkehren. Jetzt bin ich kein Kind mehr, also werde ich mich kaum noch ändern. Ich liebe dich wie eh und je, ich werde dich immer lieben, und es ist mir egal, was die anderen denken …«
»Wer ist denn da?«, rief Frank aus dem Schlafzimmer herunter.
Im Rückwärtsgang stieg Idgie die Verandastufen hinab. »Das solltest du nur wissen. Und jetzt gehe ich.«
Ruth hatte kein Wort gesagt. Sie beobachtete, wie Idgie in ihr Auto stieg und davonfuhr. Nun kam Frank auf die
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