Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
doch, wo das Haus ist? Zwei Blocks weiter unten. Ich bring’ Sie hin, wenn Sie wollen. Weiß Ruth, dass Sie kommen?«
»Nein, das ist schon okay. Um die Wahrheit zu sagen, Mister – es wäre besser, wenn sie nicht erfährt, dass ich hier war. Ich bin nur auf der Durchreise – und geschäftlich unterwegs, als Handelsvertreterin für die Parfumfirma Rosebud.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Und ich hab’ heute noch mehrere Termine, ehe ich heimfahren kann. Also sollte ich jetzt aufbrechen … Ich wollte mich nur vergewissern, dass dieser Frank okay ist. Und Ruth soll nicht rausfinden, welche Sorgen sich die Familie macht. Das könnte sie aufregen. Nun werde ich ihrer Tante und ihrem Onkel, meiner Momma und meinem Daddy, erzählen, alles sei in bester Ordnung. Wahrscheinlich kommen wir alle zur Hochzeit, und da wäre es ihr sicher peinlich, wenn sie wüsste, dass wir uns umgehorcht haben. Also, dann gehe ich nun. Vielen Dank.«
Der Ladenbesitzer beobachtete, wie die sonderbare junge Frau in Hemd und Hosen zur Tür eilte, und rief ihr nach: »He, Sie haben Ihren Saft nicht ausgetrunken!«
T HE V ALDOSTA C OURIER
2. November 1924
D IE B ENNETT -J AMISON -H OCHZEIT
Am Sonntag wurden Miss Ruth Anne Jamison und Mr. Frank Corley Bennett von Reverend James Dodds getraut. Die Braut trug ein weißes Spitzenkleid und ein Bukett aus winzigen Rosen. Der Bruder des Bräutigams, Mr. Gerald Bennett, fungierte als Trauzeuge.
Die Braut ist die Tochter von Mrs. Elizabeth Jamison und dem verstorbenen Reverend Charles Jamison. Die ehemalige Miss Jamison absolvierte die Valdosta High School mit ausgezeichneten Zensuren und besuchte dann in Augusta das Baptistenseminar für junge Frauen. Sie ist ein bekanntes und angesehenes aktives Mitglied der Kirchengemeinde. Der Bräutigam, Mr. Frank Corley Bennett, ging ebenfalls auf die Valdosta High School und leistete dann vier Jahre lang Kriegsdienst. Er wurde verwundet und erhielt das Verwundetenabzeichen.
Nach zweiwöchigen Flitterwochen in Tallulah Falls, Georgia, wird das junge Paar auf dem Familiensitz des Bräutigams wohnen, zehn Meilen südlich von der Stadt. Mrs. Bennett wird weiterhin in der Sonntagsschule unterrichten.
V ALDOSTA , G EORGIA
1. November 1924
An Ruths Hochzeitsmorgen hatte sich Idgie von Julian das Auto ausgeliehen und um sieben Uhr gegenüber der Morning-Dove-Baptistenkirche geparkt. Vier Stunden später sah sie Ruth und deren Mutter durch die Seitentür in die Kirche gehen. Die Braut war genauso schön, wie Idgie sich das vorgestellt hatte.
Dann beobachtete sie die Ankunft Frank Bennetts und seines Bruders, saß im Wagen, während ein Gast nach dem anderen die Kirche betrat.
Bald waren alle versammelt. Als ein Kirchendiener mit weißen Handschuhen die Tür schloss, wurde Idgies Herz bleischwer. Sie hörte die Orgelklänge des Hochzeitmarsches und fühlte sich elend.
Seit sechs Uhr morgens trank sie aus einer Flasche billigen Fusel, und kurz bevor die Braut ja sagte, fragten sich alle in der Kirche, wer da draußen so verrückt hupte.
Schließlich brauste die Orgel wieder auf, die Kirchentür öffnete sich.
Lachend rannten Ruth und Frank die Stufen herab, die Leute jubelten und bewarfen sie mit Reiskörnern. Das Paar sprang in ein Auto und fuhr davon.
Wieder drückte Idgie auf die Hupe, und Ruth wandte sich zu ihr, als sie gerade mit Frank um die Ecke bog – zu spät. Sie sah das Mädchen nicht.
Auf der Rückfahrt nach Alabama musste Idgie mehrmals am Straßenrand halten und sich übergeben.
P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
30. März 1986
Am Ostermorgen hatte Ed seine Big Momma aus dem Heim geholt, und sie verbrachte den Tag bei der Familie. Evelyn hatte auch Mrs. Threadgoode einladen wollen. Aber Ed meinte, das könnte Big Momma aufregen, und da sei Gott vor. Also kochte Evelyn das Riesenmenü nur für drei Personen. Nach dem Essen sahen Ed und seine Mutter fern.
Evelyn plante, mit den beiden zum Heim zurückzufahren und Mrs. Threadgoode wenigstens guten Tag zu sagen. Aber im selben Moment, wo sie zur Tür hinausgingen, rief ihr Sohn an. Big Momma, die während der ganzen Mahlzeit gejammert hatte, wie sehr sie Rose Terrace hasse, trug bereits ihren Mantel. Deshalb erklärte Evelyn ihrem Mann, sie würde daheim bleiben.
Zwei Wochen sah sie ihre Freundin nicht, und als es dann wieder soweit war, erlebte sie eine Überraschung.
»Vor Ostern war ich beim Friseur. Wie gefalle ich Ihnen?«
Evelyn wusste nicht,
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